Enderal:Bericht eines unbekannten Reisenden, Band 2

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Bericht eines unbekannten Reisenden, Band 2

Bericht eines unbekannten Reisenden, Band 2
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
25
Autor
Unbekannt
Bemerkungen


Fundorte


Inhalt

Der Aufbruch, 17. Tag im Jahr 4024 n. St. :

Bei den gestrigen Grabungen ist eine junge Frau von einer Schlange gebissen worden. Die Wilden wollten sie auf der Stelle von ihrem Leiden erlösen und töten, als sie fiebrig auf der trockenen Erde lag. Womöglich taten sie das immer, wenn die Schlange einen der ihren biss. Ich hatte dieses Tier bereits als Zeichnung auf einem Felsen nahe der Siedlung gesehen und wusste, dass die Skaraggs eine Heidenangst vor ihm hatten. Der Biss hatte sofort einen roten, pockigen Ausschlag auf der Haut der Frau ausgelöst. Ich habe nur begrenzte medizinische Kenntnisse, doch trug ich seit Beginn der Expedition ein altes, endraläisches Heilmittel bei mir, das viele Leiden von Gift zu kurieren vermag. Oft hatte ich es auf Reisen schon mit mir geführt, denn man wusste nie, mit welch giftigem Getier man es zutun bekommen konnte. Ich hielt die Skaraggs davon ab, die Frau zu töten, was mich beinahe selbst das Leben kostete. Sie fauchten mich an und zerrten mich fort, ich aber ließ mich nicht beirren. Unter großem Widerstand flößte ich ihr das Mittel ein. Ehe man mich beinahe für meine Tat ermordet hätte, zeigten sich erste Linderungen an ihrem Ausschlag und ihre Atmung beruhigte sich. Nach der Grubenarbeit wurde ich zum Oberhaupt geführt. Sie beriet sich mit anderen Skaraggs, vermutlich über mein Schicksal. Man führte mich in eine Hütte, in der sich die junge Frau befand, die ich Stunden zuvor gerettet hatte. Ich glaube sie wollen, dass ich mich um sie kümmere. Ich verbringe nun die meiste Zeit dort und ihr Zustand verbessert sich täglich. Ich musste feststellen, dass die Arzneikünste der Wilden unterdurchschnittlich sind. Auf den Inseln habe ich bisher keine bekannten Heilkräuter entdeckt, die man für Tinkturen oder Salben verwenden könnte. Daraus und aus ihrem Verhalten bezüglich des Schlangenbisses folgere ich, dass der Tod für sie der einzige Ausweg bei starken Schmerzen ist. Die Skaraggs beobachten jeden meiner Handgriffe aufs Genaueste. Ich habe begonnen, ihnen simple Befehle mittels Zeichensprache zu erteilen. Es klappt einigermaßen. Zumindest so gut, dass ich sie auffordern konnte, mir einen nassen Fetzen Stoff zu bringen, den ich der Frau auf die Stirn legen konnte. Zwischen den Wilden scheint es Bindungen zu geben, die an die zwischenmenschlichen Beziehungen unserer Welt erinnern. Eine Frau und ein Mann kommen jeden Tag, um nach dem Mädchen zu sehen. Ich vermute es sind ihre Eltern. Auch erfuhr ich, dass die Skaraggs in geringem Maße zählen können. Sie tun das anhand der Anzahl ihrer Finger. Demzufolge besteht in dieser Hinsicht kein großer Unterschied zu ungebildeten Bauern in Enderal. Möglicherweise sind sie nicht so zurückgeblieben, wie ich dachte.

Die Hungertage, 2. Tag im Jahr 4024 n. St. :

Vor einer Woche etwa, ist sie zum ersten Mal erwacht und hat mit mir gesprochen. Ich habe ihr mit Handzeichen deutlich gemacht, was geschehen ist und sagte ihr meinen Namen. Sie verriet mir den ihren, der, wenn ich richtig verstanden habe, „Kkraka“ lautet. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie während des Schlafens beobachte. Sie besitzt ein sehr schönes Gesicht, viel feiner als Barbaren und Wilde, wie man sie in Büchern beschreiben würde. Ihr Körperbau ist sehniger und muskulöser, als für eine Frau üblich. Alles was zuhause auf mich wartet, Weib und Heim, liegt weit entfernt. Ich muss meine Gedanken beherrschen und mich selbst. Zuweilen schweife ich in absurden Liebesfantasien mit Kkraka ab, die ich für beunruhigend halte. Wir unterhalten uns öfter mithilfe unserer Hände. Da sie noch zu schwach ist, um die Hütte zu verlassen, müssen wir uns den ganzen Tag lang gemeinsam die Zeit vertreiben. Sie ist eine aufgeweckte junge Frau, die mich erstaunlich gut versteht. Ich kann nicht jede ihrer Gebärden nachvollziehen, ein paar sind jedoch identisch mit den meinen. Sie schaffte es mir verständlich zu machen, dass ich unter keinen Umständen die flache Hand wie zum Gruß erheben dürfte, was man in Enderal und meines Wissens in den meisten Teilen Vyns unbedenklich tun kann. Dies war eine Geste, die unter den Skaraggs einer Beleidigung gleichkam. Ich lehrte ihr einige Worte auf Inal und während sie sich von dem Schlangenbiss erholte, fand eine merkwürdige Verschmelzung unserer beider Kulturen statt. Niemals hatte ich erwartet, eine Frau wie sie an einem Ort wie diesem zu vorzufinden. Einem Ort, dem jedweder Gott lange Zeit zuvor den Rücken gekehrt hatte.


Die Hungertage, 18. Tag, im Jahr 4024 n. St. :

Ich verliere das Zeitgefühl. Tage und Monate weiß ich noch zu ordnen, doch die Stunden verstreichen ungezählt. Die Sonne zeigt sich nicht oft. Ich kann nur schwer feststellen, wie weit der Tag schon ins Land gezogen ist. Seit etwas mehr als einer Woche weile ich nun wieder unter meinen Kameraden. Schweren Herzens hatte ich Kkraka’s Seite verlassen müssen. Von meiner Gruppe waren noch zwei Mann übrig. Den Rest hatte man ebenfalls in die Höhle gebracht. Die Skarrags sind mir gegenüber nun aufgeschlossener. Sie holen mich hinzu, wenn einer von ihnen sich verletzt oder erkrankt. Ich kümmere mich um die Blessuren und werde hier gewissermaßen zu eine Art Heilkünstler des Stammes. Kkraka besucht mich gelegentlich und bringt mir zusätzliches Essen, das ich mit meiner Gruppe teile. Wenn wir Gefangenen unter uns sind, sprechen wir meist über die Höhle. Niemand von uns weiß, was sich dort ereignet und ob unsere Mistreiter noch am Leben sein könnten. Es ergaben sich bisweilen wilde Vermutungen darüber. Der einzige Weg, wirklich herauszufinden was dort liegt, ist eines Tages selbst hineingebracht zu werden. Diese Gewissheit bereitet uns großes Unbehagen.

Der Kraken, 11. Tag im Jahr 4024 n. St. :

Ich hege tiefe Gefühle für Kkraka. Ich wollte es mir zunächst nicht eingestehen, doch ich glaube sie empfindet das Gleiche für mich. Ständig sucht sie meine Nähe und Körperkontakt zu mir. Zwar sind es seltsam anmutende Bräuche, wie das Bemalen mit roter Farbe oder gemeinsames Knochenschnitzen, die sie mit mir vornimmt, doch ich kann dahinter mehr erkennen. Unsere Herzen schlagen im selben Takt. Es wurde uns erlaubt, frei im Dorf umherzugehen. Keiner von uns Dreien hegt den Wunsch, das offensichtlich gewährte Vertrauen auszunutzen und zu fliehen oder den Zorn der Skarrags auf sich zu ziehen. Wir hätten ohnehin keine Chance gehabt, die Inseln zu verlassen. Zu Dritt kann man kein Schiff segeln, zumal nur ein Mitglied der ursprünglichen Besatzung am Leben ist. Wir haben beschlossen, uns friedlich zu verhalten und versuchen im Einklang mit ihnen zu leben. In die Höhle wurde seither niemand mehr gebracht. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen der neuen Entwicklung. Die Zeit verstreicht unaufhaltsam und verwischt die Spuren unserer Vergangenheit auf dem staubigen Grund.


Winterstern, 21. Tag im Jahr 4024 n. St. :

Eines Nachts kam Kkraka in unsere Hütte und weckte mich. Sie führte mich aus dem Dorf heraus, hinauf auf eine Felsklippe, von der aus wir den Mond und die Sterne betrachteten. Danach schliefen wir miteinander. Kkraka war entgegen der Entsprechung, wie ich ihr Volk einschätzte, so einfühlsam und sanftmütig. Gleichzeitig besaß sie eine wilde, impulsive Seite, die sie mir in ihrer Leidenschaft während des Liebesspiels offenbarte. Sie war eine wahre Kriegerin. Nicht herrisch oder streng, nur bestimmt. Mit keiner Frau aus Enderal, meinem geliebten Heimatland, vergleichbar. Auch nicht mit meiner Gefährtin. Ich betrog sie in jener Nacht, doch war ich mir längst sicher, dass ich niemals mehr zurückkehren würde. Unter den Sternen erzählte ich Kkraka von meinem Zuhause und je mehr ich das tat, desto mehr entglitt es mir. Es glitt über die weiten, schroffen Ebenen der Insel, über das Meer und hinfort. Wir verfielen einander voll und ganz. Mehrere solcher Nächte mit ihr folgten seither. Ich befinde mich seit ungefähr einem halben Jahr in der Gefangenschaft und lebe noch. Egal welches Ende Malphas für mich vorgesehen hatte, ich habe das Gefühl, dass nicht die Skaraggs es sein werden, die meinem Dasein ein Ende bereiten werden. Ich sehe mich und meine letzten Kameraden gegenwärtig als ihre willkommenen Gäste an. Hoffen wir, dass ich damit nicht falsch liege.

Die Ankunft, 9. Tag im Jahr 4024 n. St. :

Es ist grässlich. Ich dachte es hätte aufgehört, aber heute wurde wieder einer der unseren in die Höhle gebracht. Es mag erbärmlich klingen, doch ich bin froh, dass es nicht mich getroffen hat. Obwohl mir bewusst ist, dass der Tod jeden von uns früher oder später ereilen wird, fürchte ich mich noch immer vor ihm wie ein kleines Kind. Zumal mein zerrüttetes Leben mit der Liebe zu Kkraka gerade einen neuen Wert erhalten hat. Was sie betrifft, bin ich mir längst nicht mehr so sicher. Ich liebe sie, ohne Zweifel. Doch sah ich sie in einer vergangenen Nacht mit einem anderen Mann zusammen, innig umschlungen. Während des darauffolgenden Mondes kehrte sie wieder zu mir zurück und es folgte eine Liebesnacht, tollkühner als alle bisherigen. Bald darauf beobachtete ich sie erneut mit einem anderen Mann des Stammes. Ich fragte mich, ob sie versuchte mich absichtlich eifersüchtig zu machen oder ob es ihr schlicht Spaß bereitete, mich leiden zu lassen. Wut über ihr Verhalten erfüllte mich zusehends. Ich stellte sie zur Rede, woraufhin sie mit Unverständnis reagierte und mich in meinem Zorn zurückließ. Erst später begriff ich, dass wir uns weit abseits der Welt befinden, die ich kenne. Meine Vorstellungen einer Beziehung zwischen Mann und Frau sind an das geknüpft, was in meiner Heimat als gewöhnlich gilt, an feste Regeln, nach denen wir dort leben. Bei den Skaraggs, in diesem Fall bei Kkraka, können diese Werte ganz anders festgelegt sein. Möglicherweise gibt es eine Feste Bindung wie das Gefährtentum nicht. Es fällt mir schwer, es zu dulden, aber sie ist neben meinen zwei Kameraden meine einzige Stütze, die ich nicht zu rasch aufgeben will. Ich bat sie, ihre anderen Liebhaber an Orten zu treffen, an denen ich sie nicht mit ihnen sehen würde. Über die Tatsache, dass man sich nur einem Mann oder einer Frau voll und ganz versprechen sollte und anderen Austrieben der Liebe entsagen sollte, zeigte sie sich belustigt und schockiert zugleich. Sie nahm mein Anliegen jedoch ernst, nachdem ich es ihr ausführlich erklärt hatte.


Der Spatenstich, 5. Tag im Jahr 4024:

Ich bin nun sicher: Die Skaragg befinden sich in einem Krieg. In letzter Zeit kam es immer häufiger zu blutigen Schlachten. Krieger wie Kriegerinnen kehrten verwundet in das Dorf heim. Es sind lange, anstrengende Tage für mich. Zu viele Verwundete treffen ein, als dass ich sie alle mit nur einem Paar Händen und Augen überwachen und versorgen könnte. Ich versuche den Skaragg für die Pflege der Verletzten deutliche Vorgaben zu machen, was mir zeitweise gelingt und einige Leben retten konnte. Der Letzte unserer Gruppe, mich ausgeschlossen, wurde in die Höhle verschleppt. Ich habe mich danach zum ersten Mal getraut, Kkraka zu fragen, ob sie wisse, was sich dort befände und was mit meinen Kameraden geschehen sein könnte. Ich wollte Klarheit, ungeachtet dessen, dass meine Frage sie verärgern könnte. Sie sagte es mir nicht. Vielmehr machte sie mir unmissverständlich klar, dass ich unter keinen Umständen mehr davon sprechen sollte. Sie wurde sehr ernst, als sie dies zu mir sagte. Natürlich werde ich nicht so schnell aufgeben. Ich werde noch herausfinden, welches Geheimnis die Höhle birgt, früher oder später. Jedoch glaube ich vorerst nicht, dass sie mich verschleppen werden, nicht solange die aktuelle Lage bestehen bleibt. Ich bin ihnen als Heiler zu wichtig und während des Krieges werde ich umso mehr gebraucht.

Es kam der Tag, da auch Kkraka in die Schlacht ziehen musste. Ich sah sie mit vielen Wunden zurückkehren, wenngleich siegreich. Zwischen uns tut sich in letzter Zeit eine immer größer werdende Kluft auf. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass sie von mir ausgeht. Es ist schwer für mich, zu wissen, dass ich nicht der einzige Mann in ihrem Leben bin. Das konnte ich bisher nicht verinnerlichen und bis es mir gelingt, wird sicherlich noch viel Zeit vergehen. Ich habe außerdem das Gefühl, dass dem Stamm ein gewaltiger Kampf bevorsteht. Es kommen kleinere Gruppen fremder Wildmenschen in das Dorf und vereinen sich unter der Befehlsgewalt der Knochenfrau. Lange dauert es nicht mehr, dann wird es zu einer Entscheidung in diesen Auseinandersetzungen kommen.


Der Spatenstich, 29. Tag im Jahr 4024:

Der gesamte Stamm und alle Verbündeten hatten sich an diesem Morgen auf dem Dorfplatz eingefunden. Die Knochenfrau hatte mit donnernder Stimme verkündet, dass nun der Kampf beginnen würde. Ich habe einige Worte ihrer Rede verstanden. Was sie ausgerufen hat, lässt nur den Schluss zu, dass die Lage spätestens jetzt todernst ist. Die feindlichen Stämme drängen auf eine Entscheidung. Jedes Stammesmitglied, das in der Lage ist zu kämpfen, wird dazu ermutigt, sich dem Heer anzuschließen. Kriegsbemalung wird aufgezeichnet und Waffen werden verteilt. Auch ich werde in den Kampf ziehen. Nicht weil ich die Feinde durch meine eigene Hand töten will. Das wird zwar aller Voraussicht nach kaum zu umgehen sein, doch ich hoffe es vermeiden zu können. Ich will als Kriegsheiler direkt vor Ort mein Bestes geben. Nicht zuletzt, weil ich mich Sorge, dass Kkraka nicht lebend zurückkehren könnte, gehe ich das Risiko ein. Sie ist mein Halt, meine einzige Hoffnung in diesem Land. Wenn ich sie verliere, verliere ich mich. Ich habe mir einen Speer geben lassen und mir eine Tasche mit meinen verbliebenen Arzneimitteln zusammengepackt. Sollte ich überleben, werden weitere Einträge in diesem Bericht folgen. Möge der gütige Malphas über mein Schicksal wachen und mich sicher durch diesen Kampf führen. Mein Körper zittert unaufhörlich. Er schmerzt vor Anspannung. Nie zuvor hatte ich mehr Angst, als in diesen Augenblicken, da wir im Begriff sind, unseren Marsch zum Austragungsort der Schlacht anzutreten.