Enderal:Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 2

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Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 2

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Literatur Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 2
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
25
Autor
Unbekannt
Bemerkungen
-


Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 2 ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.

Fundorte


Inhalt

Kapitel 2: Pfadesbruch

Meine Mutter wurde schwer krank. Ob dies mit der seelischen Pein zusammenhing, die sie durchlitten hatte, weiß ich nicht. Ich war mir seinerzeit sicher, dass es mit dem Priester zu tun hatte. Irgendein fauler Zauber war am Werk. Ihr Zustand verschlimmerte sich rasch, sodass sie sich in eine Pflege durch die Apothekarii begeben musste, da ich neben meiner Erwerbstätigkeit nicht genug Zeit hatte, mich um sie zu kümmern.

Die Arbeit als Bibliothekar war öde und trocken. Mich verlangte es nach mehr, nach meiner Berufung. Still und heimlich studierte ich, wie einst zusammen mit Vater, die Wissenschaften, und probierte mich in simplen Übungen der Magie, welche aufgrund meines mangelnden Talents allesamt fehlschlugen. Ich träumte von meinen hehren Zielen, verbrachte Stunden des Büchersortierens damit mir auszumalen, wie toll es wäre, wenn ich mich ein Mitglied des Heiligen Ordens nennen könnte. Doch war mir dies zu erfüllen nicht möglich, da mein Pfad mich dort hielt, wo ich hingehörte. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, wenn man sich in einem viel zu engen Raum befindet, einem Schacht oder Ähnlichem und kaum Luft bekommt.

Oder wenn euch ein viel zu enges Hemd die Brust abspannt – speziell Damen dürfte das Problem eines zu eng geschnürten Korsetts geläufig sein. Dieses Gefühl hatte ich angesichts meines Pfades. Er hielt mich gefangen, hielt mich fest und kerkerte meinen Willen ein.

Trotz der Tatsache, dass ich die meiste Zeit im stillen Kämmerlein verbrachte, fand ich in Maressa Grautreu meine erste und einzige Liebe. Was gäbe ich dafür, sie heute sehen zu können. Ihr Lachen, das einem Sonnenaufgang über dem Roten Meer glich ... Doch das gehört zu einem anderen, glücklicheren Teil meines Lebens, und diesem gewähre ich keinen Platz in dieser Erzählung. Sie ermutigte mich, mit meinem Wissen und meinen findigen Experimenten einen Magister aufzusuchen, der mein Talent anerkannte. Was ich auch versuchte – ob ich ihnen nun nachrannte oder vor ihren Häusern auf sie wartete wie ein Verrückter – kein Magister wollte sich nur im Mindesten anhören, was ich zu sagen oder was ich ihm zu zeigen hatte. Hätten sie das getan, so war ich überzeugt, dass sie mich mit offenen Armen empfangen hätten.

Mein Pfad war ein Gefängnis. Die Enge schloss mich zusehends ein und ich wollte ihr entfliehen. Ich wollte ausbrechen. Gleichzeitig haderte ich mit mir und meinen Idealen. Unübersehbar war es für mein junges Ich, dass der Glauben an den Pfad irregeleitet war.

Aus meinen wissenschaftlichen Studien wurden nun soziale Studien. Ich beobachtete die Unterdrückung durch den Pfad in ihren Extremen: die Arbeiter in der Pechgrube und die Erhabenen, denen es an nichts mangelte. Hitze, Eisen, Schweiß, Blut und nicht selten der Tod an den Folgen der Überlastung erwartete einen gewöhnlichen Mann in den Stollen der Pechgrube. Im vollkommenen Gegensatz dazu standen der Adel und die Erhabenen, die ein Leben in Saus und Braus genossen. Ich notierte mir, was ich sah, speziell wie die Schaffenden von den Erhabenen behandelt wurden, wenn beide Pfade aufeinandertrafen.

Ein riesengroßer Zufall machte mich auf ein Treffen junger Bürger aufmerksam, das in der Unterstadt stattfand. Allgemein bekannt war die zwielichtige Organisation gewiss nicht, doch war hier und da ein Propagandapergament zu finden, das die aufmerksamen Wachen an Häuserwänden übersehen hatten. Eines fiel mir in die Hände, und es dauerte nicht lange, bis man mir über einen namenlosen Informanten den geheimen Treffpunkt mitteilte.

Aufregend war das für mein ruhiges Naturell allemal, in was für Gesellschaften ich damit hineingezogen wurde. Treffen in Untergrundkammern, mit Personen, deren Namen ich nicht kannte, gehörten bis dahin nicht zu meinen Alltagsbeschäftigungen. Auf meinem Weg vergewisserte ich mich, dass mir niemand gefolgt war, und betrat den Treffpunkt der Gruppierung, eine verlassene Barracke in den Wirren der dunklen Unterstadt. Als Vorbild diente den jungen Menschen Ines Dineja, die Führerin der Blutmondrevolte, woher sie auch ihren neuen Namen, „Die Blutmondloge“ ableiteten. In den Reihen der Blutmondloge fühlte ich mich wohl. Ich konnte mit ihren Mitgliedern über Themen diskutieren, die in der Öffentlichkeit verpönt waren, über die sich kein gescheiter Endraläer das Maul zerreißen würde. Bei Treffen mit meinen Gleichgesinnten entbrannten gar hitzige Diskussionen über Lösungen für politische und religiöse Problematiken.

Wenngleich mir manche Überzeugungen der Idealisten zu harsch und kriegerisch vorkamen, ließ ich mich doch auf die Blutmondloge ein. Ihr Anführer, Quindros Aslodar, ein junger, dynamischer Mann, hatte im Vorfeld eines der folgenden Treffen von einer Nacht gesprochen, die wir nie wieder vergessen würden. Und so kam es dann auch. Kollektiv verteilte er Glimmerkappenstaub unter den Idealisten, mich eingeschlossen. Ich wusste um die verheerende Wirkung der Droga, und wie viele arme Seelen wegen ihr schon den Tod gefunden hatten. Deshalb zögerte ich. Um jeden Preis wollte ich ein Teil der Blutmondloge bleiben und überwand meine Vernunft und damit eine Grenze, die lange in meinem Kopf bestanden hatte. Mit einer feurigen Rede läutete Quindros die „Nacht der Loslösung“ ein, die uns zur „absoluten Freiheit“ führen sollte, wie er es in seinem Inferno aus Worten beschrieb.

Habt ihr bereits einmal Glimmerkappenstaub eingenommen? Was ich darüber sagen kann, ist, dass diese Droga so stark ist, dass man sich nach dem Rausch nicht einmal an ihren Geschmack oder ihren Geruch erinnern kann. Sie entfaltet ihre Wirkung schnell, und in Windeseile ist man ein unkontrollierbarer Fleischklumpen, der nicht mehr weiß wo rechts und links ist. Es mit einem Alkoholrausch zu vergleichen, würde dem nicht im Mindesten entsprechen.

Quindros scheuchte uns in seinem erweiterten Sinneszustand aus dem Treffpunkt der Blutmondloge hinaus in die Unterstadt. Ich verlor meine Mitstreiter in dem Durcheinander, das vor meinen Augen herrschte. Meine Welt verzerrte sich, während ich durch die dunklen Straßen stolperte. Die Gesichter von Menschen verwandelten sich zu grausigen Monstermäulern, die mich zu verschlingen drohten. Ich sah Dämonen und Verlorene, die mich umzingelten. Gaukler tanzten mit großen Myraden Hand in Hand. Die Dirnen vor der Silbernen Wolke blickten mich nicht aus ihren verführerischen Augen an, sondern hatten den hässlichen und hohlen Kopf eines Vatyrs auf. Als sie mich anwerben wollten, krabbelte, hetzte und schlug ich mich bis zu einer leeren Gosse durch, in der es zwar keine dämonischen Fratzen mehr gab, dafür aber tausend starrende Augen an den Häuserwänden.

Am Ende dieser furiosen Rauschnacht erwachte ich mit dröhnendem Schädel in einem Heuhaufen. In dem Augenblick, in dem ich wie eine laufende Schnapsleiche mit käseweißem Gesicht durch die Straßen zum Ausgang der Unterstadt wankte, realisierte ich noch nicht, was sich an mir verändert hatte. Das Ritual war geglückt. Ich war frei. Ich hatte die absolute Freiheit erreicht und mich erfolgreich von Malphas und meinem beengenden Pfad gelöst.

Nun war ich … ein Wegeloser.