Enderal:Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 3

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Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 3

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Literatur Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 3
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
25
Autor
Unbekannt
Bemerkungen
-



Das Leben des Torgan Wisperzunge, Band 3 ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.

Fundorte

  • Ein Exemplare könnt ihr auf einem Tisch im Erdgeschoss des Hauptturms der alten Dreiflusswacht finden.


Inhalt

Kapitel 3: Der Abgrund

Was Wegelosigkeit bedeutet, ist niemandem klar, der diese nicht selbst erlebt hat. Entgegen aller Erwartungen verspürt man nicht die Freude, sich von seinen Ketten befreit zu haben, wie man anfangs bei mir vermuten hätte können. Es bedeutet Angst. Es bedeutet permanenten Schrecken. Es bedeutet ein Gefühl der Verlorenheit, das nichts auf der Welt aufzufüllen vermag, nicht die Liebe und nicht die Freundschaft. Niemand kann wegelos überleben, und wenn jemand dies behauptet, so ist er der größte Lügner in allen Ländern Vyns.

Meine Mutter starb an ihrer Krankheit und ich verlor Maressa, weil ich die meiste Zeit über Drogae einnahm. Keine vernünftige Frau liebt einen Mann, der sich in diesen Mitteln verliert. Durch die Sucht nahmen die Steuereintreiber mein Elternhaus in ihr Gewahrsam. Mein Geld zerrieselte wie Sand zwischen den Fingern. Ohne Zahlungsmittel gab es keinen Platz mehr für mich in der Oberstadt.

Die Blutmondloge ging an ihren Idealen langsam zugrunde. Ihren Mitgliedern erging es wie mir: In der Wegelosigkeit hatten sie den Sinn in ihrem Leben verloren. Quindros Aslodar und wenige Verbliebene wagten eine halsbrecherische Aktion, bei der sie den Tempel mit Schimpfwörtern bemalten, und wurden dafür gehängt.

Leorenmist heftete sich bald als festgekrusteter, nicht loszuwerdender Wegbegleiter an die Sohlen meiner Schuhe. Gestank und Fäulnis suchten meinen Körper heim. Die Zähne wurden morsch und die Haut schälte sich von meinen Knochen. Ich ertrank meine Sorgen und meine Hoffnungslosigkeit im Alkohol. Der letzte Rest meiner Selbstachtung schwand dahin. Mein Drängen weg vom Pfad hatte mein Verderben bedeutet. Nun bemerkte ich mit einem Mal, dass die Enge des Pfades nichts im Vergleich mit der Enge der absoluten Freiheit war. Diese war noch weitaus erdrückender, auch wenn ihr das nicht verstehen könnt, da ihr selbst nie die Freiheit spürtet, wie ich es tat. Die blanke, unbarmherzige Freiheit kann man nicht bezähmen. Schon gar nicht, wenn man so ein Schwächling ist, wie ich es war und bin. Hätte ich wenigstens einen Pfad, eine feste Bestimmung gehabt, an die ich mich klammern hätte können, wäre diese Lawine des Unheils vermutlich niemals ins Rollen gekommen.

Viele schöne Erinnerungen bleiben mir nicht an diese Zeit. Mein Tagesablauf in der Wegelosigkeit belief sich auf das Aufstehen, dem Einnehmen von Drogae, damit ich den Tag halbwegs hinter mich bringen konnte, dem Essen von allem Hinterbliebenen auf den Straßen in der Unterstadt und dem abendlichen Vollsuff, den ich benötigte, um mich in den Schlaf zu lallen. Alle Ordnung war aus meinem Leben verschwunden. Malphas’ weisende und tadelnde Hand wachte nicht mehr über mich. In der Unterstadt kommt dir jeder Tag wie die Nacht vor, ohne die Sonne und den frischen Wind. Deshalb kann ich nicht sagen, welcher Monat oder welche Zeit es war, als ich wie so oft ohne Rast und ohne Ziel herumwankte. Ich schlug mich von Hauswand zu Hauswand, um nicht umzukippen. Eine Bande von Straßenräubern – kein seltenes Phänomen – erkannte die leichte Beute und ergriff die Chance beim Schopf. Sie prügelten mich windelweich, nur um dann zu bemerken, dass ein Säckchen Glimmerkappenstaub das Einzige war, was sie mir abnehmen konnten. Dreckig lachend machten sie sich davon und ließen mich blutend und verwundet in einer Matschpfütze liegen. Meine Glieder schmerzten, doch ich schaffte es vorwärts zu kriechen. In der Nähe schmetterte ein Barde das Lied vom Weglosen Wanderer. Fetzen daraus begleiteten mich, während ich durch den Dreck robbte. Ich schleppte mich in ein altes Gemäuer, lange verlassen und ein verborgener Eingang zu den Katakomben der Unterstadt. Ratten nagten an meinem lebendigen Fleisch.

Dann sah ich sie klar und deutlich vor mir: Eine pechschwarze Gestalt, ohne erkennbare Gesichtszüge. Sie war dürr und hatte sehnige Gliedmaßen. Ihre Beine wurden von einer dunklen, schwelenden Rauchwolke umströmt und waren nicht zu erkennen. Der Tod offenbarte sich mir in der Gestalt des Schwarzen Wächters. Ich stand dem Sonnenfeuer näher als je zuvor. Er starrte mich nur an und streckte eine Hand aus. Er wartete darauf, dass der letzte Lebenshauch aus mir wich. Verlockend war es allemal, in sein Angebot einzuwilligen und damit die Tragödie zu beenden. Aber ein letzter Funken Wille in mir klammerte sich an mein erbärmliches Dasein auf der Welt. Der Schwarze Wächter musste mit leeren Händen abziehen und ich fristete weiter mein Schicksal, wohl wissend, dass ich die Stunde meines jüngsten Gerichts nur hinausgezögert hatte.