Enderal:Der verlorene Brigant

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Der verlorene Brigant

Bücher Der verlorene Brigant
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
22
Autor
Unbekannt
Bemerkungen
-

Der verlorene Brigant ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.


Fundorte


Inhalt

Der verlorene Brigant

Ein Geruch von Verwesung und Gestank schlug ihm entgegen, als er die Augen öffnete und in die Finsternis blickte. Sein ganzer Körper zitterte. Was war dies für ein Ort? Er erinnerte sich an das letzte Gefecht. Es war eine scheinbar harmlose Kutsche gewesen. Ein Überfall, nichts weiter - die Händler töten und auf dem Boden verrotten lassen. Doch dieses eine Mal stimmte etwas nicht. Erst, als der erste Pfeil seinen Bogen schon verlassen hatte, bemerkte er das Symbol, das auf dem tiefblauen Mantel des Kutschers prangte: das Auge und das Schwert - der Orden. Alles geschah in wenigen Augenblicken. Er wollte seinen Kameraden, die mit gezogenen Waffen auf das Gefährt zustürmten, noch eine Warnung zurufen, doch es war zu spät. Er spürte, wie die tiefschwarzen Augen des Paladins ihn fixierten, und erkannte einen Ausdruck tiefen Bedauerns. Dann wurde er von einer andersweltlichen Macht ergriffen und gegen die mit spitzen Holzbalken geschützte Palisade geschleudert. Und noch bevor er seine Augen schloss, begriff er, was ihm seine Wegelosigkeit eingebracht hatte.

Er ertastete die Dunkelheit mit seinen immer noch schmerzenden Händen. Bildete er sich dies nur ein, oder stammte jener Verwesungsgeruch tatsächlich von ihm selbst?

Seine Hände stießen auf etwas Hartes. Kalter, erbarmungsloser Stein. Mit einem Ruck schob er den schweren Sargdeckel von seinem tristen Grab und richtete sich auf. Ein jeder Muskel brannte, seine Augen fühlten sich an wie flüssiges Feuer, und er wunderte sich, warum alles um ihn herum die Farbe verloren zu hatte schien. Er befand sich in einer Höhle. Trostlos tropfte Wasser von der steinernen Decke, Sekunde für Sekunde, als wolle es durch seinen Klang die Zeit ins Unendliche strecken. Er entstieg dem Sarg und suchte nach einem Ausgang, einem Anzeichen von Licht, und nahm schließlich einen kleinen Durchbruch an der Höhlendecke wahr, von dem aus ein schwacher, fahler Strahl auf einen kleinen, überwucherten Teich fiel. Wasser. Sein ganzer Körper verlangte nach Wasser. Schritt für Schritt machte er sich auf in Richtung des Lichts, in Richtung der kühlen, Wonne versprechenden Labung, seine Augen einzig und alleine nach vorne gerichtet. Er bemerkte nicht, dass er diesen Ort mit anderen teilte.

Nur unter äußerter Anstrengung hievte er seinen gebrochenen Körper zum unterirdischen See und sank schließlich erschöpft auf die Knie. Endlich Wasser. Er formte seine beiden Hände zu einer Schüssel und schenkte dem getrockneten Blut auf den teuren Schattenwolf-Handschuhen, die er einst einem unbewaffneten Händler aus Nehrim geraubt hatte, keine Beachtung. Ein taubes Glück durchfuhr seinen Körper, als das kühle Nass seine ausgetrocknete Seele herunterfloss. Er würde noch eine, vielleicht zwei Stunden rasten und sich schließlich seinen Weg aus dieser Höhle bahnen. Ja, er lächelte sogar bei dem Gedanken an den glücklichen Zufall, der ihn vor der Magie des Ordensbruders geschützt haben musste. Nur wenige Briganten wie er konnten sich damit brüsten, unvorbereitet einem Ordenskrieger widerstanden zu haben. Er würde ihn finden, diesen Vatyrensohn, und dann würde er ihm sein Schwert in die Brust treiben, so wie er es verdient hatte. Ja, so würde es geschehen.

Bis er schließlich die Flüssigkeit bemerkte, die ihm vom Hals hinablief. Er bemerkte eine schwarze Figur,die sich hinter ihm aufrichtete und deren Schattenwurf eine verkrümmte, furchterregende Silhouette zeichnete. Er fasste sich an die Kehle.

Wasser. Das kalte Wasser, das er eben aus dem See geschöpft hatte, lief ihm aus dem Schlund heraus. Panisch tastete er mit seinem Handschuh seinen Hals ab. Erst jetzt bemerkte er den Pfahl, der ihm aus der Kehle ragte und seine Beweggungen so sehr erschwert hatte. Seine Kleidung war zerfetzt, blutverschmiert. Er riss sich den Pfahl aus dem Hals, und der Blutschwall vermischte sich geradewegs mit dem grauen, erbarmungslosen Seewasser, das sich weigerte, seinem Körper Genesung zu schenken. Erst jetzt blickte er in sein Spiegelbild. Sein Spiegelbild? Er war ein schöner Mann mit langem Haar und vollem Bart gewesen, aber was er im Wasser sah, war nicht mehr als eine entstellte Fratze, ohne Nase, blutüberströmt, mit eitrigen Wunden auf der hohen Stirn. Keine Menschlichkeit.

Angsterfüllt drehte er sich um. Dies war keine einfache Höhle. Dies war ein Grab. Sein Grab.

Etliche verkrümmte Gestalten irrten umher, manche stumm auf ihren eigenen Särgen sitzend, manche vom Wahnsinn zerfressen auf die große Stahltür des Massengrabes einschlagend.

Dann begriff er, dass er an jenem Tag gestorben war. Aber er war ein Verbrecher, er war wegelos, und ihm war die letzte Reise versagt worden. Er wurde begraben, nur um als lebender Toter wieder zu erwachen, seine Seele und sein Körper langsam verrotend, jenen Frieden suchend, den er sich zu Lebzeiten selbst verwehrt hatte.