Enderal:Erzählungen des Wanderers: Der Schattentänzer

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Erzählungen des Wanderers: Der Schattentänzer

Bücher Erzählungen des Wanderers: Der Schattentänzer
Daten
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1
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25
Autor
Der Wanderer
Bemerkungen
-

Erzählungen des Wanderers: Der Schattentänzer ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.

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Eine Auflistung der im Buch vorkommenden Charaktere:

Inhalt

Erzählungen des »Wanderers«: Der Schattentänzer

Das Credo der ewigen Wanderschaft ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Niemand sieht die Welt so, wie ich sie sehe, in ihrer rohesten, ursprünglichsten Form, ohne die zahlreichen Schleier, die über ihr liegen, mit einem Blick, der nicht von Hass oder Gutgläubigkeit getrübt ist. Mein Schicksal als Wanderer hatte schon ab dem ersten Atemzug begonnen, den ich genommen hatte, nachdem ich den Leib meiner Mutter verlassen hatte. Die Ausbildung zu dem, was ich bin, verlangt völlige Unterordnung aller Gefühle. Sie ist hart, ausdauernd, rau - Konzentration auf eine einzige Aufgabe. Was für einen Zweck es hat, die Kampfstile der Welt zu sammeln, das fragt ihr euch sicherlich. Wenn ihr ahntet ... Niemand vermag es sich vorzustellen, nicht einmal ich. Es dient einem höheren Zweck. Es ist eine Lebensaufgabe. Der Zeit kurz nach dem Ende meiner Ausbildung im Kloster der Meister, als ich noch jung und unbeschwert wanderte, entspringen viele abenteuerliche Geschichten und Begegnungen. Diese ist eine davon, eine der ersten.

Etwas war anders an jenem Tag. Die Raben auf den Dachgiebeln kündeten davon. Die Luft lastete auf den Schultern, schwer wie eine Kette aus massiven Steinen. Der Lebensmut versank einem in dem dunstigen Meer aus Trübsal, das über allem schwebte. Die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen. In der Nacht hatte es Frost gegeben. Nebelschwaden lagen über dem Hafen von Ark. Von der See her wanden sie sich wie geisterhafte Schlangenwesen durch die Gassen. Der Atem der Umstehenden zog als kleine Dampfwolken zum halbdunklen Himmel empor. Sie hatten sich um den Ort versammelt, wo es geschehen war. Ein paar Hafenarbeiter, ein Bettler, mehr waren es noch nicht. Lang würde es jedoch nicht mehr dauern, bis sich die enge Gasse mit Menschen füllen würde.

»Arme Kerle. Das ist schon der fünfte Mord binnen eines Monats. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun. Seht euch das viele Blut und den Schädel von dem da an - zermatscht wie eine reife Tomate. Da geht ein Wahnsinniger um.«, sagte einer der Arbeiter, mit vor Angst belegter Stimme.

»Der hier hatte sogar seine Leibgarde dabei ... hat ihm trotzdem nichts genützt. Das muss ein starker Wahnsinniger sein, wenn er die Männer so herrichten konnte«, sagte ein anderer.

Ich hatte die Kapuze tief ins Gesicht geworfen. Es blieb nicht viel Zeit. Die Wachen würden bald auftauchen und niemanden mehr vorlassen. Drei Leichen. Eine klebte zu Teilen noch an der Steinwand, an der man sie zerschmettert hatte, der Rest von ihr lag verrenkt direkt darunter. Die zwei übrigen verteilten sich die Gasse entlang. Mit weißer Farbe waren bizarre Zeichen auf die seitlichen Hauswände gezeichnet, vermutlich als Abschreckung. Die Leute sollten glauben, es handle sich um die Tat einer zwielichtigen Geheimorganisation. Ich ging vor einem der Toten in die Hocke. Er lag auf dem Rücken. Der Todeszeitpunkt war schwer festzustellen. Die Kälte ließ keine genaue Vermutung zu. Der Mann war wohlgenährt, er hatte einen prallen Wanst. Seine feinen Gewänder waren mit Blutfluten besudelt. An seinem Hals hing ein metallisch glänzendes Abzeichen, gesprenkelt mit roten Spritzern. Ein reicher Händler, Mitglied der Goldenen Sichel. Ich packte den Kopf, zog seine Mundwinkel nach oben und schnüffelte.

»Was machst du da, Bursche? Der ist tot, daran ist nichts mehr zu ändern.«

Ich antwortete nicht. Dieser Geruch aus dem Mund der Leiche. Man hatte ihn mich tagein tagaus in der dritten Sinneskammer des Klosters riechen lassen, damit meine Nase ihn jederzeit erkennen konnte. Er war kaum mehr zu vernehmen. Eine Mischung aus faulen Eiern und Ruß. Die durchgeschnittene Kehle ließ als Todesursache nur einen Schluss zu: Von hinten erdolcht, mit einer sehr, sehr scharfen Klinge. Die Haut war nicht fransig, es war ein glatter Schnitt, glatter als mit einem Rasiermesser. Die Leibwächter des Händlers waren unter dem Einsatz von enormer Körperkraft zu Tode gekommen. Die Todesarten der drei Opfer unterschieden sich auffällig voneinander - zu auffällig. Etwas war krumm an der ganzen Sache. Ich erhob mich. Die Arbeiter murmelten schon. »Wer ist das?«

»Was will er hier?«

»Vielleicht hat er was mit der Sache zu tun. Manchmal kommen diese Irren doch zurück und hobeln einen auf ihre blutrünstigen Taten.«

»War der nicht schon beim letzten Mal da und hat herumgeschnüffelt?«

»Ich hole die Wache ...«

Einer von ihnen eilte los. Für mich war es Zeit zu gehen. Ehe sie sich umwandten, war ich am anderen Ende der Gasse verschwunden. In meinem Dachzimmer im Gasthof schrieb ich nieder, was ich herausgefunden hatte, und fasste meine bisherigen Erkenntnisse gedanklich zusammen:

Fünf Morde. Fünf hochrangige Kaufleute der Goldenen Sichel. Das konnte längst kein Zufall mehr sein. Der Letzte hatte nicht ohne Grund Leibwächter bei sich gehabt. Jemand hatte es auf die Händler abgesehen. Eine persönliche Fehde war nicht auszuschließen. Alles nicht besonders ungewöhnlich, Kaufleute machten sich im Laufe ihres Lebens viele Feinde. Doch wäre das eher ein Fall für die Stadtwache. Was es zu einem Fall für mich machte, war diese Spur. Magie. Dieser seltsame Geruch. Ein eindeutiges Indiz für den Einsatz von Entropie, verbotener Magie, bei jedem der drei Fälle, die ich persönlich untersuchen hatte können, seit die Serie begonnen hatte.

Mein alter Freund, der Apothekarius Belius Braungrind, der für den Orden arbeitete, hatte mich sofort brieflich kontaktiert, als die ersten Opfer der Verbrechen bei ihm auf dem Untersuchungstisch gelandet waren. Die gesamte Wache war in höchster Alarmbereitschaft, dennoch gelang es dem Mörder, sein Treiben fortzusetzen, mit immer neuen Tricks. Ich befürchtete jedoch, dass er früher oder später einen folgenschweren Fehler begehen und gefasst werden würde. Bevor das geschah und sein Kopf durch Arks Straßen rollte, musste ich ihn und seine unvergleichlich mächtige Art zu töten unbedingt mit eigenen Augen sehen. Wenn das stimmte, was ich bisher ausgetüftelt hatte, gab es nur noch ein Opfer, das für seine nächste Tat infrage käme: Der Kopf der Goldenen Sichel - Evan Dal'Volar.

Ich beschattete Dal'Volar die nächsten Tage über. Es lernt sich schnell in den Talenten der Heimlichkeit und wie man Menschen am besten ungesehen verfolgt, wenn man so viel umherwandert. Er tat keinen Schritt, ohne dass ihn eine Traube aus bis an die Zähne bewaffneten Söldnern eskortierte, die er für seinen Schutz angeworben hatte. Selbst in der Nacht umstellten sie sein Haus. Wenn der Mörder sich zeigte - und das würde er, so wenig scheu, wie er sich bisher präsentiert hatte - dann musste sein Trieb nach Rache oder ehedem gewaltig sein.

Es war eine kalte und neblige Nacht, als ich in einem meiner Verstecke ausharrte, von dem aus ich sein Haus beobachtete. Die Söldnerwachen vor der Tür spielten Karten und tranken glühenden Wein, um sich warm zu halten. Vor dem großen, doppelflügligen Fenster im Obergeschoss mit Balkon zog der gute Evan sein Nachthemd an und legte sich zu seiner Geliebten, einer Hure, die, wie ich bei meinen Nachforschungen erfahren hatte, besonders reiche Gesellschaft schätzte. Alles war wie an jedem anderen Abend. Alles, bis auf den schwarzen Schatten, der über die Dächer huschte. Natürlich hatte ich ihn bemerkt. Er kundschaftete wohl die Umgebung aus. Ein Mord lag im Duft des süßen Holzes, das in der geräumigen Stadtvilla des Händlers im Ofen knisterte und dessen Geruch bis zu mir herüber drang. Der süße Geruch des Todes.

Er tanzte in den Schatten der Nacht, mied das Mondlicht. Selbst ich konnte ihn kaum verfolgen, und das war höchst ungewöhnlich. Meine Augen sind bestens für solche Dinge geschult worden. Die Söldner, die den Haupteingang bewachten, waren für ihn nur eine laue Vorspeise. Ihre Kehlen klafften offen und das Blut quoll wie ein Wasserfall aus ihnen heraus, ehe sie einen winzigen Laut von sich geben konnten. Ich musste vorsichtig sein. Ein falscher Schritt und ich konnte enden wie die bemitleidenswerten Männer. Der Attentäter zog sich über einen Balken zum ersten Stock hoch, in einer flüssigen Abfolge von Bewegungen. Als er im Dunkel verschwunden war, eilte ich los. Das Schloss öffnete ich schnell mit einem Zauber, es blieb keine Zeit für ehrliche Diebesarbeit.

Im Haus war es totenstill. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. Während ich voranschlich, spürte ich plötzlich einen Luftzug. Die Hintertür stand offen. Aber warum ...? Diesen Gedankengang ließ man mich nicht vollenden. Eine riesige Gestalt wankte aus dem dunklen Gang auf mich zu. Einzig zwei glühende, gelbe Punkte - Pupillen - konnte ich ausmachen. Ich warf mich zur Seite und entging dem großen Wesen gerade noch. Es schlürfte, röchelte. Hinter sich schleifte es einen kopflosen Söldner her, der eine blutige Spur auf den Dielenbrettern hinterließ. Ein Mensch konnte das nicht gewesen sein. Aber was dann? Ein schriller Schrei und ein dumpfes Rumpeln rissen mich aus meiner Schockstarre. Ich rappelte mich hoch und hastete die Treppen empor. Die Tür zum Schlafgemach stand offen. Vor ihr lagen mehrere tote Söldner, die ich nur rasch überflog. Alle schrecklich zugerichtet. Das Ende des Ganges schwamm förmlich im Blut. Ich wetzte durch die Tür und mir stockte der Atem, bei dem was ich sah. Eine riesige Kreatur, sicher zwei Mann hoch, hatte Dal'Volar am Fuß gepackt. Er hing kopfüber und zappelte verzweifelt umher. Abscheulich, hässlich, entstellt, mit kränklich blau-violetter Haut, roten, eitrigen Pusteln, Warzen und Wucherungen, aus denen Knochen und missgebildete Gelenke herausstießen, atmete die Kreatur ihn aus nächster Nähe an. Sie ähnelte nur entfernt einem menschlichen Wesen. Ich hatte so etwas nur ein einziges Mal zuvor gesehen. Nur eine Mutation, nur der Blaue Tod konnte eine solche Abscheulichkeit hervorbringen. Der Attentäter, vermummt in schwarzen Gewändern, wirkte, wie er dort neben dem Wesen stand, beinahe dürr und unterernährt. Klein war er jedoch auch ohne diesen Eindruck. Die Hure des Händlers lag umgedreht auf dem Bett, umgeben von einer roten Lache.

»Bitte, ich gebe euch alles Gold, das ihr wollt. Nur lasst mich am Leben.«, jaulte Dal'Volar und versuchte sich freizustrampeln.

Die Kreatur packte fester zu. Der Händler heulte vor Schmerz auf und es knackte laut. Sein Bein musste gebrochen sein.

»Erinnert ihr euch an mein Gesicht, Meyser Dal'Volar?«, fragte der Attentäter.

Er nahm die Kapuze ab und ein junger, gutaussehender, blonder Kerl kam zum Vorschein. Das Licht der Kerzenständer offenbarte eine lange Narbe oberhalb seines rechten Auges. Evan gurgelte.

»Nein, woher auch?! Wer auch immer ihr seid, lasst mich gehen, bitte.«, japste er.

»Ein Jammer«, sagte der Attentäter mit einer eiskalten Stimme. »Ich war noch sehr klein, als ihr mir alles nahmt. Der Name meines Vaters war Jorlinn ... Jorlinn Drosselstein. Schon einmal gehört? - Wahrscheinlich habt ihr auch ihn vergessen, obwohl ihr ihn einmal euren »Freund« nanntet. Ihr habt meinen Vater damals aus der Goldenen Sichel verstoßen, ihr habt sein Geschäft in den Ruin getrieben. Wieso fragt ihr euch? Weil er ein talentierterer Händler war, als ihr. Er hätte euch übertroffen. Womöglich hätte er euch gar den Sitz am Kopf der Sichel abgenommen. Aber wie mit ihm, so macht ihr es ja mit allen, die euch in die Quere kommen. Mit eurer Fraktion aus korrupten Verbündeten löscht ihr sie skrupellos aus. Aber dieses Mal habt ihr euch ins eigene Fleisch geschnitten. Mein Vater nahm sich das Leben, nachdem ihr ihn vernichtet hattet. Meine Mutter kurz darauf. Durch euch wurde ich zum Waisen, feiner Meyser Dal'Volar. Eure Händlerfreunde, die damals halfen, haben bereits bezahlt. Nun seid ihr an der Reihe. Diese Schuld lässt sich nicht in Gold aufwiegen. Der einzig akzeptable Preis dafür ...«

Der Attentäter nahm den Dolch zu seiner Kehle. »... ist euer Tod.«

Mit einem Hass von unbändiger Kraft riss die Klinge Dal'Volars Kehle auf. Ein unregelmäßiger Blutstreifen sprang auf die Wand über. Der Genuss über diesen Mord stand dem Attentäter ins Gesicht geschrieben. Er wischte das frische Blut an seinem Umhang ab.

»Gut gemacht Silvi«, sagte er, an die Kreatur gerichtet. Sie gab ihm keine Antwort. »Nun können wir endlich zur nächsten Phase unseres Plans übergehen. Ich hörte da von einem gewissen Hauptmann, der eng in unsere Geschichte verstrickt sein soll ...« Er verstummte.

Ich stand noch in der Tür, hatte alles schweigend mitverfolgt. Erst zog er den Dolch und machte Anstalten, mich anzugreifen. Doch er ließ die Waffe wieder sinken und flüchtete auch nicht. Ich trat einen Schritt weiter in den Raum hinein.

»Du hast Jemanden wiedererweckt, habe ich Recht?«, fragte ich und nickte zu der Kreatur hin. »Ich kann es riechen, die Totenmagie, die du eingesetzt hast. Sie liegt hier im Raum, bei diesem Wesen, und ich fand sie bei deinen Opfern. Der Geruch erfüllt ihre leblosen Körper, er begleitet dich wohin auch immer du gehst, weil du mit diesem Wesen verbunden bist.«

Der Attentäter beobachtete mich abschätzend, in Lauerstellung.

»Der Stärke der Bindung nach zu urteilen, die zwischen dir und diesem mutierten Magier besteht, standet ihr euch sehr nahe. Gute Freunde? Geliebte ...?«

»Bruder und Schwester.«, unterbrach er mich barsch.

Angespannte Stille trat ein.

»Wer bist du? Willst du das Kopfgeld, das sie auf mich ausgesetzt haben?«, fragte er.

»Ich bin ein interessierter Beobachter. Was die Justiz angeht - damit habe ich nichts zu schaffen, und ich mische mich auch nicht in diese Querelen ein, wenn es geht.« Ich betrachtete die Kreatur aus sicherem Abstand.

»Warum sollte ich dir glauben?«

»Warum sollte ich zusehen, wie du einen Mord begehst, wenn ich dein Feind wäre? Ich wäre schön blöd, wenn ich, nach allem was über dich bekannt ist, auch noch versuchen würde, dich dingfest zu machen.«, sagte ich.

Wieder herrschte Stille. Ich ging zu einem Tisch mit zwei Stühlen. Ich setzte mich und befüllte zwei Becher mit einer Weinkaraffe, die auf dem Tisch gestanden hatte. Obwohl ich es nicht gern zugebe, muss ich gestehen, dass ich in diesem Moment nicht das sicherste Gefühl hatte. Züge von Angst regten sich in mir, aber ich tötete sie bereits im Kern ab. Dieser Mann, den ich vor mir hatte, war unberechenbar.

»Setz dich. Ich würde mich gerne mit dir unterhalten. So wie ich vermute, stehen wir auch nicht unter Zeitdruck. Du hast alle Wachen getötet und dabei nicht die leiseste Menschenseele in der Nachbarschaft aufgeweckt.«

Der Attentäter sah mich verdutzt an. Scheinbar hatte ich sein Interesse mit meiner furchtlosen Geste geweckt, denn ob man es glauben mag oder nicht, ich landete auf diese Weise an einem Tisch mit einem kaltblütigen Serienmörder und seiner mutierten, tödlichen Kampfbestie. Wir führten eine längere Unterredung über seine Tötungsweise und Verschiedenes.

»So ist das also mit diesem Oorbâya. Du kontrollierst, was Es - entschuldige - was Sie tut. Ihr wahrer Geist ist dort drinnen gefangen, und sie nimmt nicht wahr, was um sie herum geschieht, hat auch keine Kontrolle mehr über ihren Körper. Von so einem Zwischenfall, der bei einer Erweckung und Seelenbindung stattfinden kann, habe ich noch nie gehört. Wie kam es zu dem Umstand?«

»Den Tod unserer Eltern hat sie nie verkraftet. Sie hat es übertrieben mit ihrem Streben nach arkaner Macht und Rache. Erst kam das Fieber, dann der Wahnsinn. Ich musste sie umbringen, sonst hätte sie mich getötet. Mein Erweckungszauber bindet sie an die Gestalt, die sie im Moment der Mutation angenommen hatte. Aber in ihrem jetzigen Zustand kann sie nicht einmal sprechen. Ich suche nach der Kraft, die mir hilft, ihren Körper zurück zu verwandeln oder sie wenigstens wieder normal fühlen zu lassen.« Der Attentäter sprach derart gefühlskalt, dass einem nur vom Zuhören schon anders wurde. Die Kreatur mit Namen Silvi grummelte, als würde sie gerade in einen dösigen Halbschlaf verfallen. Ihr Blick war leer, an die Wand gerichtet.

»Du bist sehr jung, fast ein noch Kind. Trotzdem tötest du mit einer Entschlossenheit und Kühle, die in deinem Alter wohl kaum ein anderer besitzt. Es tut mir Leid um deine Schwester, aber das brauche ich dir nicht zu sagen. Du hast allen Gefühlen schon lange abgeschworen. Ich sehe den eisernen Mantel um dein Herz.«

»Ich lebe nur für Rache. Und für Silvi. Das verstehen Menschen wie du nicht.«

»Du irrst. Ich verstehe es. Gut. Wenn du und ich auch nicht viel gemeinsam haben mögen, so eint uns eines: Ohne unsere Aufgabe wäre unser Dasein bedeutungslos. Es wäre nicht mehr wert als das eines Kieselsteines am Wegesrand. Unser Tod wäre unweigerlich die einzig logische Folge.«

»Sei vorsichtig, mit wem du dich vergleichst, Wanderer. Vergleiche bringen dich in meinem Fall näher an den Rand der Dunkelheit, als es dir lieb ist.«

»Die Dunkelheit, von der du sprichst, kann ich nicht mehr fürchten. Ich kenne sie zur Genüge, glaub mir.«

»Dann bist du der wahren Dunkelheit noch nicht begegnet. Glaub mir.«

»Das bin ich. Sie sitzt in Menschengestalt vor mir.«, sagte ich.

Wir tranken stumm. Es dauerte eine Weile, bis der Attentäter wieder das Wort ergriff.

»Jasper.«

Ich sah ihn fragend an.

»Falls du in deinen Aufzeichnungen einen Namen verwenden musst. Das gibt der Geschichte eine persönlichere Note. Die Nachwelt soll mich nicht als namenlosen Tötungswahnsinnigen in Erinnerung behalten. Nenn mich Jasper. Der Name hat mir schon immer irgendwie gefallen.«

Ich lachte und sah nach draußen aus dem Fenster. Es wurde langsam Morgen. Der Attentäter trank aus und erhob sich.

»Die Nacht ist bald vorbei. Es wird hier von Soldaten wimmeln, wenn der Tag anbricht. Du verschwindest besser, bevor sie dich für meine Verbrechen aufknüpfen.«

Ich nickte.

»Ich habe einen besseren Namen für dich als Jasper.«, sagte ich, als er die Türschwelle überschritt. Silvi stapfte schwerfällig voraus und war schon nicht mehr zu sehen. Er wandte den Kopf zur Seite, so dass ich die Narbe in seinem Gesicht klar erkennen konnte.

»Der Schattentänzer.«

Er grinste schelmisch. Doch in Wahrheit war es das Grinsen eines kleinen Jungen, der seine gesamte Familie verloren hatte. »Ein wenig poetisch. Aber ich könnte mich daran gewöhnen.« Danach verschwand er und ward von keiner lebenden Seele mehr gesehen.