Enderal:Erzählungen des Wanderers: Der Vielgereiste

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Erzählungen des Wanderers: Der Vielgereiste

Bücher Erzählungen des Wanderers: Der Vielgereiste
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
25
Autor
Der Wanderer
Bemerkungen
-

Erzählungen des Wanderers: Der Vielgereiste ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.

Fundorte


Personen

Eine Auflistung der im Buch vorkommenden Charaktere:

Inhalt

Erzählungen des "Wanderers": Der Vielgereiste

Ich kann nicht behaupten, dass ich in meinem Leben viele Feiern besucht habe. Ich habe auch nicht geliebt, wie es gewöhnliche Menschen tun. Und über Frau ... was will ich sagen. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, das Bett mit ihnen zu teilen. Weiche, sanfte Küsse, Zärtlichkeit, das alles ist mir nicht vorherbestimmt. Im rauen Wind der Gezeiten, der mich langsam abträgt, überbrandet von den salzigen Wellen der See, auf Bergen und im Schatten alter Bäume, unter einem glitzernden Sternenhimmel, bin ich zuhause. Ich war an vielen Orten, habe viele Übel gesehen. Unbezahlbare Erinnerungen, die mir bis in den Tod bleiben werden. Ein einsamer Wanderer, auf immer dazu verdammt, voranzuschreiten, einer hell leuchtenden Sonne am Horizont entgegen. An diesem lauen Abend gegen Ende des Sommers spielte all das keine Rolle. Manchmal wünschte ich, die Zeit könnte still stehen, die Welt so bleiben wie sie ist, und ich säße immer noch auf der Holzbank, inmitten des geschmückten Dorfplatzes, das verführerische Flüstern dieses Mädchens im Ohr.

Die Festgemeinschaft tagte nun seit dem frühen Mittag. Dabei wurde es schon Abend. Sie hatte das gesamte Dorf in einen Ausnahmezustand versetzt. Die hohen Eichen und Pappeln erstrahlten im Licht von grünen, roten, blauen und gelben Lampions, die man zwischen Bäumen wie Häusern auf Seile gespannt hatte. Die Leute tanzten ausgelassen, tranken und aßen - kurzum, es war eine Feier, wie sie im Buche stand. Denn nicht nur die erfolgreiche Ernte gab dazu Anlass, auch die Tochter des Dorfoberhauptes heiratete heute, und obendrein noch einen hübschen, kräftigen, jungen Burschen aus dem Nachbardorf. Gesang und das Spiel von Leiern, Flöten, und was da noch so alles an Instrumenten zu finden war, klang durch die Gassen. Die Alten erzählten den Kindern ihre Sagengeschichten, und auf einer Bühne traten den ganzen Tag über verschiedenste Artisten auf, angefangen bei Jongleuren, über Dompteure ... Ach, was könnte ich euch über diese prächtige Stimmung erzählen, ich sog sie in vollen Zügen in mich auf, obgleich man es mir wohl nur schwerlich anmerkte. In all diesem Trubel nippte ich verhalten an meinem Humpen Bier. Ich war, bei aller innerlichen Freude, nicht zufällig hier. Es gab etwas zu tun in diesem Dorf. Ich musste jemanden treffen. Als ich die Dörfler bei ihren Tänzen so beobachtete, tippte mir ein Finger zärtlich auf die Schulter. Ich wandte mich um und fand mich im Angesicht einer jungen Frau wieder. Ihr Haar wallte ihr als walnussbraune Löckchen die Schultern herab und umrahmte das rosafarbene Gesicht mit den vom Alkohol geröteten Wangen. Ihr Blick war süffig, süß aber etwas unergründlich Tiefes lag darin. Stille Wasser sind meist tief, so sagt es der Volksmund ... aber lassen wir das. »Mein Herr, ich würde euch gerne um diesen Tanz bitten. Ihr seht so trübsinnig aus, das darf nicht sein an einem festlichen Tag wie diesem«, sagte sie. Ich schmunzelte. »Bin ich nicht ein bisschen zu alt für dich?« Ich war zwar noch im besten Alter, aber es war nicht zu übersehen, dass dieses Mädchen blutjung war und sich jeden anderen frischen Burschen aussuchen hätte können. »Das entscheidet zum Glück nicht ihr«. Sie streckte mir ihre Hand hin. Ich rang mit mir, gab dem Drang aber schließlich nach. Sie führte mich auf den Platz, auf dem alle tanzten. Ich war kein besonders guter Hüftschwinger, das solltet ihr wissen, aber es dauerte nicht lang und sie hatte mich derart umgarnt, dass ich sie sogar im Kreis wirbelte und Tanzschritte aufführte, die ich von mir nie für möglich gehalten hatte. Ich hatte Freude. Es geschieht nicht oft, dass ich alles um mich herum vergessen kann, all die Ströme und das Wispern der Erde. An jenem Tag, ihr hübsches Gesicht vor mir, war es mir vergönnt.

Wir setzten uns auf eine Bank, plauderten über dies und das, über was gewöhnliche Leute eben sprechen. Ich konnte nicht umhin zu sagen, dass sie mir gefiel. Hätte meine Berufung es mir gestattet, wäre ich ein paar Tage bei ihr geblieben. Vielleicht wären wir ein süßes Paar geworden, das sich irgendwo in der Nähe ein neues Leben aufgebaut hätte, mit Kindern und ruhigen Abenden, voller Grillenzirpen und Behaglichkeit. Bei diesem Gedanken wurde mir das Herz schwerer, doch ich wusste um die Opfer, die ich bringen musste. Es wurde allmählich dunkler - die Nacht brach herein - und die Artisten verließen die Bühne nach und nach. Das Dorfoberhaupt, merklich angetrunken, stakste auf das Podest am Kopf der Festgemeinde. Er stellte seinen Becher ab und klatschte in die Hände. Stille breitete sich über dem Platz aus. Währenddessen hatte ich das Mädchen mit einem Witz so zum Lachen gebracht, dass sie beinahe von der Bank geplumpst wäre. »Mein Name ist Lari. Ihr habt mir den euren noch nicht verraten, Fremder.«, sagte sie und kam mir so nahe, dass ich den Duft ihres Körpers deutlich wahrnehmen konnte. Sie hatte erst vor kurzem, vermutlich heute vor dem Fest, gebadet und roch unglaublich gut. Ich wollte gerade antworten, als das Dorfoberhaupt mit lauter Stimme verkündete: »So Leute, das war alles war bisher schön und gut, aber jetzt geht die Sause richtig los. Für den Höhepunkt des Abends habe ich eine ganz besondere Überraschung, denn für meine Tochter und ihren neuen Bräutigam ist mir kein Geld zu Schade. Aus fernen Ländern kam er zu uns, und nachdem er bereits die Nachbarsdörfer mit seinen Künsten in blankes Staunen versetzt hat, ist er jetzt endlich auch bei uns angekommen. Begrüßt mit mir den legendären, den wahnsinnigen Feuerspucker. Begrüßt Dragobar, die berühmte Flamme Nehrims!«

Ich spitzte die Ohren. Gespannte Stille trat ein. Meinen Namen blieb ich Lari schuldig, obwohl ich ihr natürlich auch keinen nennen hätte können. Ich besaß keinen ... wäre ein Niemand gewesen, in ihren Augen. Ein dürrer Kerl betrat die Bühne und verbeugte sich vor dem Publikum. Er trug eine lange Schlabberhose, die er in die Stiefel gesteckt hatte. Einige Brandnarben waren auf seinem nackten Oberkörper auszumachen. Seitlich fehlten ihm ein paar Haare, wohl ebenfalls Opfer einer Versengung, der Rest stand wie grau-weißes Gestrüpp von seinem Kopf ab. Er verbeugte sich, trank eine spezielle Flüssigkeit und nahm seine Fackel zur Hand. Was dann geschah, verfolgte ich mit verstärktem Interesse. Ein Feuerstrahl schoss von der Fackel in die Luft. Mit der anderen Hand öffnete er ein Fläschchen und führte es vor dem Feuer her. Die Flammen folgten seiner Bewegung und es bildete sich eine lange, wabernde, flirrende Schlange. Der Feuerspucker ließ das Flammenwesen über die Bühne schwirren, Kunststücke vollführen und tanzte selbst akrobatisch über die Holzplanken, um all die komplizierten Figuren vollenden zu können. Seine Vorstellung raubte dem Publikum den Atem. Die Schlange war nur der Auftakt seiner Vorführung. Es folgten kunstvolle Einlagen mit Pfeil und Bogen und anderen selbstgebastelten Konstruktionen, die er mit seiner Feuerkunst kombinierte. Dragobar machte seinem Namen in jedem Fall alle Ehre. Irgendwann - der Artist war gerade damit beschäftigt, zwei Feuerspiralen ineinander zu verflechten - bemerkte ich Bewegung in den hinteren Zuschauerreihen. Leute wurden grob zur Seite geschoben. Drei Wachsoldaten drängelten sich bis zur Bühne vor. Damit hatte ich gerechnet. Jetzt würde es noch interessanter werden. Die Wachen, eindeutig Männer von Kanzler Barateon, der seit kurzem die Macht über Nehrims Mittelreich erlangt hatte, stiegen unter Protesten des Dorfältesten auf die Bühne. Einer der Männer nahm dem Feuerspucker die Fackel weg und die furiose Spirale erstarb. Die Fackel wurde zu Boden geworfen und knirschend ausgetreten. Lari drückte sich verängstigt an mich. »Seid ihr der Mann, den sie die "Flamme Nehrims" nennen?«, raunzte ein Soldat, der offenbar die Befehlsgewalt über die kleine Truppe innehatte. »Wer will das wissen?«, fragte Dragobar. »Werd nicht frech. Du hantierst mit verbotenen Künsten, mit Magie, stimmt das? - Streite es nicht ab, wir haben genug von deinem Firlefanz gesehen. Kanzler Barateon duldet solche wie dich nicht mehr. Wir haben die Anweisung, dich mit uns zu nehmen.«

»Und wohin gedenken die Herren mich zu bringen?«, erkundigte sich Dragobar höflich. »In eine dunkle Zelle, da wo du hingehörst.«, kam es zurück. Dragobar seufzte. »In Ordnung. Lasst mich meine Habe zusammensammeln, dann komme ich mit euch.« Ich runzelte die Stirn. Das konnte es noch nicht gewesen sein. So leicht würde er sich nicht ergeben. Der Feuerspucker ging zur Rückseite der Bühne und kramte in seinen Sachen. »Barateon habe ich noch nie gemocht, auch bevor er an die Macht kam. Ich fand immer, dass er fürchterlichen Mundgeruch hat, den man bei seinen Reden bis ans andere Ende der Stadt riecht.«, sagte er, mit dem Rücken zu den Soldaten gewandt. Waffen klirrten daraufhin. Plötzlich schnellte Dragobar herum und warf ein metallisches Etwas in die Mitte zwischen die drei Soldaten - ein etwas mit acht mechanischen Beinen. »Ahh, was ist das?!« Es krachte laut und das Ding explodierte. Eine grünliche Rauchwolke hüllte die Soldaten ein, ließ sie husten und planlos umhertaumeln. Der Dorfplatz geriet in Aufruhr. Ich löste mich von der verdutzten Lari, ohne ein Wort des Abschieds mit ihr zu sprechen, und bahnte mir einen Weg aus der Menge. Jetzt war es vorbei, ich musste raus, raus aus der Traumblase, die ich mir geschaffen hatte, zurück zu meiner Aufgabe.

Ich sah Dragobar erst, nachdem ich mich freigeschwommen hatte. Er verschwand raschen Schrittes aus dem Dorf. Auf leisen Sohlen verfolgte ich ihn eine ganze Zeit lang durch die schwarze Nacht und kleine Wäldchen. In eben einem solchen machte er Halt. Zwei große Bäume überwucherten mit ihren Wurzeln den Eingang zu einer alten Grabkammer, vom Mondlicht beschienen, in den Fängen einer Böschung liegend. Das Eisentor, das sie verschlossen halten sollte, war verbogen, so dass man problemlos hindurchschlüpfen konnte. Wenn ich ihn weiter verfolgen würde, bestand womöglich die Gefahr, ihn zu verschrecken. Ich setzte alles auf eine Karte. »Hier haltet ihr euch also versteckt.« Er zuckte zusammen, wie ein scheues Tier, kurz bevor er im Dunkel des Grabes verschwunden war. Ich rutschte die Böschung zu ihm hinab und hatte ihn nun geradeaus im Blick. »Gutes Versteck. Die Soldaten werden euch hier sicher nicht suchen.« »Wenn es ihnen niemand verrät, ja.« Ein gewisser Drohton lag in seinen Worten. Er drehte sich zu mir um. »Ihr habt nichts von mir zu befürchten«, beteuerte ich. Stille kehrte ein. Der Ruf eines Waldkauzes schallte durch den Wald, schnitt die Stille wie eine Klinge entzwei.

»In der Gegend erzählte man sich, dass ein Wanderer in das Dorf gekommen ist. Das seid ihr.« »Woher ...?« »Ich kann es an euch riechen. Ihr riecht nicht nach diesem Teil der Welt. Euer Geruch ist vielfältig, ihr wart schon an vielen Orten«, fiel er mir ins Wort. »Ihr scheint eine sehr feine Nase zu besitzen.« Er kam näher und schnüffelte. »Nein, nur eine äußerst geübte. Ich setze mich regelmäßig mit Tieren zusammen, wie den Eichhörnchen. Pfiffige Kerlchen. Sie haben mir gezeigt, wie man seine Nase richtig benutzt.« »Aha«, antwortete ich, leicht irritiert. Es war bekannt, dass Dragobar eine verrückte Ader besaß. Doch ebenfalls wurde gemunkelt, dass er nicht immer so gewesen war, früher, bevor der Wahn ihn sich geholt hatte. Überaus intelligent war er dennoch, das belegten seine Bühnenerfindungen und seine behände, überdachte Art, sich zu bewegen. Jede Regung war wohl überlegt. »Vielleicht wisst ihr dann auch, wieso ich hier bin.« »Natürlich. Ich bin ja nicht dumm. Ihr wollt eine Geschichte über mich schreiben, wie es euresgleichen eben tut. Ihr seid nicht der erste eurer Zunft, den ich treffe. Kein gewöhnlicher Wanderer, ein Sammler. Aber für was sammelt ihr sie, die Kampfkünste, frage ich mich. Für einen Krieg? Formt ihr im Geheimen eine Armee, die ihr nach euren Vorstellungen formt? Oder steckt ein weit größeres Mysterium dahinter?« Er verstummte. »Meine Geschichte gibt es nur im Gegenzug für Antworten auf diese Fragen.« Ich erwiderte seinen verrückten Blick eisern und entschlossen, mit einer Mine, standhafter als ein alter Stein. »Darüber kann ich euch nichts sagen. Wenn ihr meine "Zunft" kennt, wisst ihr das.« »Tja, dann könnt ihr jetzt wieder verschwinden. Ich werde euch nichts von mir erzählen, was ihr auch gehört haben mögt.« Er machte Anstalten in die Finsternis der Grabkammer zu entschlüpfen. »Man erzählt sich allerhand Geschichten über euch. Dass Dragobar, die Flamme Nehrims, das Feuerspucken von den Drachen selbst gelernt haben soll. Dass er ein Drache in Gestalt eines Menschen ist. Und ...« Ich platzierte eine gewichtige Pause zwischen meine Worte. »Dass er der einzige Überlende des Sonnenfeuers sei.« Dragobars Gesicht gefror im durch die Bäume hereinfallenden Mondlicht zu Eis. Als flutete plötzlich eine längst verdrängte Erinnerung zurück in sein Bewusstsein. »Ich habe lange Nachforschungen angestellt und eure verstreute Spur bis hierher zurückverfolgt. Es war nicht einfach, ihr habt euch verflucht gut verborgen gehalten.«

Dragobar blieb still. »Ich weiß Vieles über euch, denn wer wäre ich, wenn ich mir ein Genie wie eures durch die Lappen gehen ließe, ohne dass es Erwähnung in meinen Chroniken findet. Ihr wart damals dabei, als Dal'Marak in Enderal das Sonnenrad untersucht und mit seiner Gier ganz Thalgard vernichtet hat. Nein, was erzähle ich, ihr wart nicht nur dabei, ihr wart sein Assistent, einer der bekanntesten arkanen Erfinder und Kriegskünstler eurer Zeit, ist es nicht so?« Der Blick des Feuerspuckers hatte sich verloren. Nun kehrte er zu mir zurück. »Torus, der "Arkane". Oder Torus Quastenfels, wenn ihr den gebürtigen Namen lieber habt als das Gewäsch, was einem die Dichter andrehen. Vielleicht habt ihr euren wahren Namen auch schon vergessen. Immerhin ist das alles mehr als zweitausend Jahre und mehrere Leben her. Eines müsst ihr mir jedoch verraten, denn das habe ich mir bis jetzt nicht lückenhaft erklären können: Wie habt ihr so lange überleben können?« Dragobar starrte fassungslos geradeaus. Urplötzlich brach er in Gelächter aus. »Das ist eine feine Geschichte, die ihr euch zurechtgesponnen habt. Ihr solltet es mit dem Glimmerkappenstaub nicht übertreiben, mein Herr. Ich bin ein einfacher Feuerspucker aus Enderal. Es ehrt mich, dass ihr mir eine so große Persönlichkeit anhängen wollt. In gleichem Maße tut es mir Leid, euch enttäuschen zu müssen.« Er verbeugte sich, eindeutig eine Geste, die mir zeigen sollte, wie unerwünscht ich war. »Lasst diesen Quatsch. Eure Maske ist längst von euch abgefallen. Ihr wisst exakt, dass ihr jemanden wie mich nicht täuschen könnt«, beharrte ich. Seine närrische Höflichkeit war rasch dahin. »Kommen wir zum Punkt.« »Weiß noch jemand außer euch davon?«, fragte er mit kalter Stimme. Ich seufzte. »Ist das euer Ernst? Wollt ihr mir nun drohen? Das wird eurer einstigen Größe nicht gerecht.« Ich konnte hören, wie seine Kiefer aufeinander mahlten. Er hatte zu kämpfen, was mir wiederum bestätigte, dass ich mich dem richtigen Weg befand. »Eine der spannendsten Enthüllungen unserer Zeit würde ich das nennen. So wie ich das sehe, habt ihr, aus eurer Sicht, nur zwei Möglichkeiten. Ihr bringt mich um und begrabt euer Geheimnis damit für immer oder ihr lasst euch auf ein Gespräch mit mir ein und hört, was ich zu sagen habe. Ersteres will ich euch nicht raten, denn wie euch bekannt sein dürfte, umgeht man bei unserer Ausbildung gewisse Fähigkeiten nicht, die mich zu einem Alptraum für meine Feinde machen können, wenn ich denn gezwungen bin, sie einzusetzen«, sagte ich.

Der Feuerspucker schwieg. Er wägte wohl seine Möglichkeiten ab. Dann machte er einen Schritt auf mich zu. Ich zuckte kaum merklich. Er ging an mir vorbei, zu einem Felsen und setzte sich. Für einen kurzen Moment hatte ich einen Angriff erwartet. »Was wollt ihr wissen?« »Erzählt mir, was damals passiert ist.« »Wenn ich könnte ... Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist eine ohrenbetäubende, gewaltige Explosion, die mir Sicht und Gehör nahm. Zuvor arbeitete ich mit Dal'Marak daran, das Artefakt zu entschlüsseln. Wir scheiterten, wie allseits bekannt sein dürfte. Als ich nach der Explosion erwachte, war ich an einem völlig anderen Ort, mitten im Niemandsland, mitten in der Wüste von Qyra. Ich hatte Glück, dass mich eine Karawane aufgabelte. Damit nahm alles seinen Lauf ...« Er begann zu erzählen, von seiner Reise über die Kontinente, von seiner Suche nach einem neuen Sinn im Leben. Davon, wie er die Identität von Torus sterben ließ und zu Dragobar und noch so vielem anderen wurde. In gewisser Weise ähnelte sein jetziges Ich dem meinen. Er reiste ständig umher, heimat- und namenlos. Er war zu einem Niemand geworden.

»Nach der Explosion wart ihr nicht mehr derselbe, vermute ich? Etwas hatte sich verändert.« Er nickte. »Sie beraubte mich all meiner magischen Kräfte. Ich kann nicht einmal mehr ein Feuer entfachen ... wie erbärmlich für einen einstigen Meister. Gleichzeitig schenkte sie mir unerschöpfliche Lebenskraft. Das Alter kann mich nicht töten. Wenn mich niemand mit einem Speer durchbohrt, lebe ich weiter, bis ganz Vyn zu Staub zerfallen ist.« »Unsterblichkeit, ein ewiges Leben. Ich dachte das gäbe es nur auf eine deutlich makabre Weise bei den Verlorenen.« »Dann habt ihr euch getäuscht. Jedoch ist es nicht so, dass ich den Traum leben kann, den mancher hegt. Je länger ich lebe, desto wirrer werde ich. Der Wahnsinn übernimmt meinen Verstand langsam und ich lebe in den Tag hinein. Dagegen anzukämpfen bringt nichts, ich kann es nicht verhindern.« »Warum ausgerechnet die Arbeit als Feuerspucker und warum auf Nehrim?« »Das Feuerspucken war schon früher eine nette Nebenbeschäftigung abseits all der Kämpfe, der ich gerne nachgegangen bin. Diese Identität als Dragobar gibt mir Halt, wo ich sonst keinen finden kann. Und warum Nehrim? - Nun, bis dieser Kanzler kam, war es ein schöner Ort zum Leben für mich. Ich bin von Nord nach Süd durch die Siedlungen gezogen, hatte immer etwas zu Essen und ein Dach über dem Kopf. Die meisten Leute hier schätzen ehrliches Talent.« Er vollführte eine weitreichende Geste mit seinen Händen. Nach einer längeren Stilleperiode sammelte ich mich für den entscheidenden Teil unseres Gesprächs. Ich fand, dass es an der Zeit war, jenen in die Wege zu leiten. »Ich bin nicht nur hier, um über euch zu schreiben. Meine Aufgabe sieht es zuweilen vor, dass ich Seelen, die nicht in diese Welt gehören, helfe, ihren Pfad zu finden. Die magische Kraft des Artefakts hatte auf euch eine andere Wirkung, als auf eure Mitstreiter und euren Herren. Sie verschonte euch, aus welchem Grund auch immer, und brachte euch an einen anderen Ort. Vielleicht war es, weil ihr in diesem Leben noch eine Aufgabe zu verrichten hattet. Sie stattete euch mit überirdischen Kräften aus, ließ einen großen Teil eures Körpers im Hier und Jetzt. Aber diese magische Spur war es auch, die mich zu euch führte, aus eben jenem Grund. Ihr gehört nicht mehr hierher, Torus. Ich kann in euch hinein sehen. Eure Zeit ist längst abgelaufen. Die Aufgabe, die euch an das Leben gebunden hat, wurde erfüllt.«

Sein Blick senkte sich. »Wollt ihr mich töten?« »Nein. Das Töten widerspricht meinem Kredo. Ich kann etwas Anderes für euch tun. Das wird allerdings nur funktionieren, wenn ihr Frieden mit euch selbst geschlossen habt und bereit seid, zu gehen. Nach so einer langen Zeit ist es oft nicht einfach, Abschied zu nehmen.« »Sagt, was ist es?« Ich griff in meine Tasche und holte einen flachen Stein hervor, ungefähr so groß wie eine Fingerkuppe. Er schimmerte schwach im Licht der Nacht und spiegelte die Farben eines Regenbogens. »Das ist ein Übergänger.« Ich legte ihn auf einen Baumstumpf ab. »Schluckt ihn und es wird euch möglich sein, diese Welt ohne Schmerzen zu verlassen.« »Zwingt ihr mich nicht, ihn zu nehmen?«, fragte Torus verwundert. »Über Tod und Leben zu richten, ist nicht meine Aufgabe. Ich will euch helfen. Wenn die Qual des ewigen Lebens jemals zu groß für euch wird, nehmt ihn. Er kann euch erlösen, ohne Schmerz, ohne Leid. - Es wird schnell vonstatten gehen, ihr werdet nichts spüren.« Ich musterte ihn eingängig. »Ihr seid kein Mensch, der sich in eine aussichtslose Schlacht stürzt, um darin zu sterben. Ihr lechzt nicht nach einem Heldentod. Auch würdet ihr nicht von der nächsten Klippe springen, wenn nur die geringste Chance bestünde, dass ihr überlebt. Vielleicht ist eure Angst vor dem Schmerz - diesem letzten Schmerz - größer als die Angst vor dem Tod selbst. Der Stein gewährt euch jenen schnellen und zugleich würdevollen Abschluss eurer ewig währenden Reise. Er bringt euch den Frieden, den ihr ersucht.« Ich raffte meinen Umhang fester und wandte mich von ihm ab. Das Laub des letzten Herbstes, das die Erde bedeckte, raschelte unter meinen Stiefeln. »Ich danke dir, Wanderer.« Ich nickte, den Rücken zu ihm gekehrt, und verließ das Wäldchen.

Ob er immer noch lebt oder meine Hilfe in Anspruch genommen hat, kann ich nicht sagen. Ich hoffe nur, dass er zur Ruhe gefunden hat. Dragobar, Torus, der Arkane, die Flamme Nehrims - dieser Mann trug viele Namen, von denen wir nur einen Bruchteil kennen. Zu diesen Titeln will ich einen weiteren hinzufügen: Torus Quastenfels - der »Vielgereiste«.