Enderal:Erzählungen des Wanderers: Der dunkle Hüter

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Erzählungen des Wanderers: Der dunkle Hüter

Bücher Erzählungen des Wanderers: Der dunkle Hüter
Daten
Gewicht Gewicht
1
Wert Wert
25
Autor
Der Wanderer
Bemerkungen
-

Erzählungen des Wanderers: Der dunkle Hüter ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.


Fundorte


Inhalt

Erzählungen des "Wanderers": Der Dunkle Hüter


Magie ist ein zweischneidiges Schwert. Die lichte Seite dieser Klinge nützt den Menschen, hilft bei der Heilung von Verletzungen, Krankheiten und erleichtert den Alltag. Im Gegenzug birgt die Schattenseite für schwache Herzen weitaus mehr Verlockungen, fordert gleichzeitig jedoch großen Tribut. Sie zehrt am Leben desjenigen, der sich ihr anvertraut, sie für seine Zwecke nutzt. Die Sinistra, die Schule jener Magie, wird auf den zivilisierten Kontinenten nahezu ausnahmslos geächtet. Sie beschäftigt sich mit Kräften, mit denen man nicht spielen sollte, mit der Manipulation von Gedanken anderer, aber auch von Leben und Tod. Nicht umsonst heißt es, »Was tot ist, das soll auch tot bleiben.«

Auf meiner Wanderschaft bin ich ebenfalls mit der Sinistra in Kontakt gekommen. Nicht nur einmal, und nicht, weil ich sie selbst ausübte, nein, ich würde mich keine Zehe weit in dieses Gebiet vorwagen. Aber auf jedem Kontinent gibt es Schlupfwinkel für solche Magie, dunkle Schluchten ohne Grund. Da meine Aufgabe als Wanderer es vorsieht, dass ich mich zuweilen in die Welten der Finsternis ... oder gar darüber hinaus begebe, weiß ich von einem Krieger mit arkanen Talenten zu berichten, der die Kampfkunst mit der verbotenen Magie zu einer Meisterschaft getrieben hat. Dabei war mein Aufeinandertreffen mit ihm zu damaliger Zeit mehr ein Zufall als gewollt ...

Es krachte und polterte. Das grelle Licht eines Blitzes erhellte die Stube geisterhaft und ließ das Feuer von Kerzen und Kamin für einen Moment scheinbar hochzüngeln. Der Regen trommelte gegen die Fensterscheiben und auf das Dach, und der Wind rüttelte an den Wänden und pfiff durch jede undichte Ritze. Vor mir stand eine dampfende Schüssel Kohlsuppe. Der derbe Geruch stieg mir in die Nase, während ich einen Löffel nahm, pustete, ihn dann in den Mund steckte. Die Suppe schmeckte furchtbar, war allerdings neben trockenem Brot das Einzige, was der Gasthof im Angebot hatte. Dennoch, man mag es nicht glauben, hatte ich schon schlechter gegessen. Der Gasthof war heruntergekommen, marode, er ächzte aus dem letzten Loch, wie man so schön sagen würde. Es regnete viel in der Region, fast jeden Tag in der Spanne zwischen Winter und Sommer - und das tat dem Holz gar nicht gut. Das Dorf, zu dem der Hof gehörte, befand sich inmitten des Düstertals. Der Name des Ortes traf den Nagel auf den Kopf. In einer Ecke der Stube zechten die Soldaten des Ordens, schnappten sich die jungen Kellnerinnen auf die Schöße, sangen und tönten laut herum. Ansonsten war da hauptsächlich Bauernvolk aus dem Tal. »Bekommt's wohl?«, fragte die vollbusige Wirtin mit den roten Backen und der gemusterten Schürze, deren Mann der Hof gehörte. Sie räumte gerade den Nebentisch ab, an dem ein alter Haudegen vor sich hin schnarchte. Ich verzog den Mund, das war meine Antwort.
»Nun, sei froh, dass es überhaupt Kohl gibt. Alles andere haben uns die Schnecken dieses Jahr zerfressen. Sind auf einmal mächtig viele geworden, bis wir ein Mittel gegen sie gefunden hatten.«  »War ein Zauberer da, der sich die Felder angesehen hat?« 
»Ja, es war einer da. Kannst du hellsehen oder weißt du auf deine Lebtage nur einiges mehr als andere, Fremder?« 
»Wegen meinem grauen Haar und den Falten? Lass dich nicht täuschen, Liebes, in mir steckt mehr Jugend, als du denken magst. Ich schmecke seine dilettantisch schlechte Zauberformel aus der Suppe heraus.«, erwiderte ich mit einem müden Grinsen. Die Wirtin lachte herzhaft. »Wer bist du? Es verschlägt nicht oft jemanden zu uns ins Tal, der gute Witze reißt.« 
»Ich bin ein Wanderer.« 
»Und der Name?« 
»Gibt es nicht, muss es nicht geben.« 
»Oho, geheimnisvoll, aber sei's drum. Was willst du hier bei uns, Wanderer?« Ich nippte an meinem schalen Bier. Draußen krachte es erneut, diesmal lauter.
»Bin auf der Durchreise. Will ins Nordwindgebirge.« 
»Hast dir nicht die beste Zeit ausgesucht. Es ist gefährlich geworden, seit sich die Rebellen im Tal eingenistet haben.«, sagte die Wirtin, im Hinblick auf die Männer des Ordens.
»Sind deswegen so viele Soldaten in den Dörfern unterwegs?« 
Sie nickte.
»Verbrecher sind diese Aufsässigen, allesamt, das ganze Pack, man sollte sie hängen. Sind im Frühjahr hier reinmarschiert, als wären wir gewillt, ihnen das Land einfach so als Versteck zu überlassen, damit sie sich hier vor der Obrigkeit verschanzen können. Ja, haben sie sich gedacht, ziehen wir die Bauern mir nichts dir nichts in unsere Streitereien hinein, aber da haben sie sich geschnitten, nicht mit uns, nicht mit mir, ich lasse mich nicht als Mitverschwörerin abstrafen. Wir haben es zwar nicht leicht, aber bevor wir den Tod riskieren, soll es lieber bleiben, wie es ist. Ich verstehe nicht, wie es im Süden so viele Leute geben kann, die hinter ihnen stehen, sie bringen nur Ärger ins Land ...« 
Ich schweifte ab, ignorierte das weitere Gerede der Wirtin und horchte aufmerksam. Draußen tat sich etwas. Niemand sonst reagierte. Ich hörte es durch die Ritzen des Holzes, unter dem Türspalt durch - die schweren, nietenbeschlagenen Stiefel, die in die Pfützen auf der Straße klatschten, und das Schnauben der Pferde in der Nasskälte. Jemand kam. Instinktiv umklammerte ich unter dem Umhang den Schwertgriff. Das laute Gelächter der Soldaten wurde von einem Donnern unterbrochen, doch dieses Mal kam es nicht von dem Unwetter her. Es war die Tür, die krachend aufflog und beinahe aus den Angeln sprang. Aus dem Licht des nächsten Blitzes schälten sich die Umrisse eines hochgewachsenen Mannes, der im Bogen stand. Seine schwere, schwarz glänzende Plattenrüstung reflektierte das Blitzlicht. Der Helm lief spitz zu, entblößte kein Gesicht, alles an ihm wirkte kantig, scharf, als könnte man sich an seiner Rüste schneiden. Am Gürtel trug er ein gewaltiges Schwert, das tödlich funkelte. Das Wappen seines Schildes zierte das Zeichen der Rebellen von Kilana Hammerschlag, ein roter Hammer auf schwarzem Grund. Die Stube hielt den Atem an. Ein hoher, ängstlicher Frauenschrei durschnitt die Stille. Es klapperte, als die Soldaten sich im Halbrausch von ihren Plätzen hochrauften. Der Ankömmling duckte sich und trat in die Stube ein. Ihm folgten zwei weitere Männer, ebenfalls mit dem Zeichen der Rebellen, aber deutlich weniger groß und stark gerüstet. »Schert euch weg, ihr seid hier nicht willkommen.«, blaffte ein Soldat.
Der Krieger in der schwarzen Rüstung ging stumm auf ihn zu.
»Nehmt die Beine in die Hand, bevor wir sie euch abhacken.«, fügte ein anderer hinzu - besonders sicher klangen aber beide ob der Erscheinung des hünenhaften Rebellen nicht.
»Du stinkst nach Schlange, kleiner Mann - und nach Bier.«, sagte er mit einer furchterregend dunklen Stimme.
»Verschwinde, Hurens-!« Das Wort erstarb dem Soldaten in der Kehle. Mit einem hässlichen Schmatzen zerteilte das Schwert des Rebellen ihn mittendurch. Die Männer des Ordens rissen die Waffen hoch, getrauten sich aber nicht, den Hünen anzugreifen. »Keine Angst, euch geschieht nichts, solange ihr euch nicht einmischt.«, verkündete der Rebell, an die Gäste gewandt, die sich ängstlich unter die Tische und hinter den Tresen geduckt hatten. Einige hatten die Möglichkeit ergriffen und waren nach draußen geflohen. »Ich fürchte nur, für euch Würmer war das die letzte Zeche auf lange Zeit.« Er deutete auf die Soldaten.
Ein schrecklicher, eisiger Schleier des Grauens legte sich über den Gasthof, als der fremde Krieger die Beschwörungsformel murmelte. Ich hörte die Worte deutlich. Wie ein Echo hallten sie von den Wänden wider, obwohl er leise sprach. Ich erhob mich, den Schwertgriff fest umklammert. »Hexerei! Ein Wildmagier! Reißt aus! Er stiehlt eure Seelen!«, rief einer der Gäste und rannte panisch zur Tür.
Ich hatte noch keinen Magier der verbotenen Künste in den Reihen der Aufsässigen gesehen. Entweder hatte die gute Kilana ihre Rekrutierungskriterien geändert oder etwas war faul an der Sache. Ich vermutete Letzteres. Die Augen eines Soldaten kehrten sich nach innen, er taumelte plötzlich, wie von Sinnen und wirbelte mit seinem Schwert herum, an Freund und Feind vorbei.
»Eltin, was soll das?! Warum greifst du mich an?!« 
Sein Nebenmann fluchte. Ein heilloses Chaos entbrach. Erneutes Gemurmel des Rebellen, die nächste Formel, der Nächste brach ein, schlug plötzlich nach seinen Mitstreitern. Krüge zerschellten, Tische wurden umgeworfen, panische Schreie gellten durch den Raum, Explosionen ertönten, wer weiß woher, etwas platzte, Blut bespritzte die Dielen, das Blut der Soldaten, die sich gegenseitig töteten. Sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Der Krieger ließ ein wahnsinniges Lachen verlauten, während er das Massaker genüsslich verfolgte. Er sah ruhig zu, wie seine Marionetten tanzten, bis kein Feind mehr am Leben war. »Seht, was mit denen geschieht, die es mit dem Orden halten - Ah!« Er schrie überrascht auf. Einer der Bauern hatte sich eine Mistgabel gepackt und sie ihm direkt in die freie Stelle unter der Schulterplatte gejagt.
»Du hässliche Bauernmade!« 
Er zog die Mistgabel heraus und spießte den Bauern gegen die Wand, der röchelte und Blut spuckte wie ein Wasserspeier, danach kippte ihm der Kopf auf die Brust. Die Umstehenden waren immer noch in Furcht erstarrt. Der Hüne besah sich das Blut, das unter den Rüstungsplatten herausfloss. Er ging nacheinander zu den Leichen und streckte seine Hand über ihnen aus. Mein rechtes Auge, jenes mit dem besonderen Blick, verriet es, er absorbierte Energie, heilte seien Wunden mit der Macht der Toten. Anschließend schüttelte er sich.
»Das war ein Fehler. Ich wollte euch verschonen - ein Jammer um euer schönes Stübchen. Geht vor, ich komme in - sagen wir zwei Augenblicken nach.«, befahl er seinen Gefolgsleuten und schickte sie nach draußen.
Er setzte sich an den Schanktresen und nahm einen fremden Krug, den er sich unters Visier kippte. Ich ahnte, was er vorhatte. Ein Magier mit einer derartigen Macht konnte im Handumdrehen den gesamten Gasthof, mitsamt den umliegenden Feldern dem Erdboden gleichmachen - inklusive der Menschen. Das konnte ich nicht zulassen.
»Du wirst diesen Leuten kein Haar mehr krümmen.« 
Ich hatte mich hinter den Krieger gestellt, bereit zu tun, was nötig war. Er drehte sich behäbig auf dem Sitz und besah sich meiner Gestalt. Ein gedämpftes Lachen erklang unter dem Helm.
»Mutig. Aber ich bezweifle, dass du überhaupt noch ein Schwert halten kannst mit deinem Buckel, lieber Greis.« 
Er stand gelassen auf. »Verschwende die letzten Jahre deines Lebens nicht. Mich anzugreifen ist zwecklos. Ich bin unsterblich.« 
Er wollte einen Schritt tun, aber ich riss die Hand unter dem Umhang hervor. Die Gegenzauber hatte ich schon gesprochen, alle Vorkehrungen längst getroffen. Abrupt hielt der Krieger inne, mitten im Schritt, wie erstarrt.
»Was - was tust du da?«, fragte er zornig und versuchte sich zu rühren, ohne Erfolg.
»Du glaubst wohl, deine dunkle Magie schützt dich vor allem. Du hast dich getäuscht.« 
»Lass mich los!«, brüllte er.
Ich kam näher, erhob die Stimme, bis die Wände bebten, packte den Krieger beim Helm, dass er erzitterte, und zwang ihn mit eisernem Willen vor mir auf die Knie.
»Für dich gibt es hier nichts mehr zu tun, du hast genug Schaden angerichtet. Ich weiß, dass du keiner der Rebellen bist. Du verfolgst eigene Pläne, im Namen dessen, was du Gerechtigkeit nennst. Aber lass dir eines gesagt sein, wer auch immer du bist und welch Übel dir auch innewohnt: Mit deinen finsteren Mächten fügst du Unschuldigen Schaden zu, bestrafst sie für Taten, die nicht sie, sondern ihre Herren begangen haben. Irgendwann, da wird dich deine verdorbene Magie von innen her ausfressen. Du wirst gehen, jetzt, ohne Widerworte. Und wenn ich erfahre, dass du und deine Männer zurückgekehrt seid und die Dorfbewohner angegriffen habt, werde ich dich finden und dich töten. Hast du das verstanden?« 
Unter ängstlichem Gewinsel nickte er. Er richtete sich auf und eilte schnurstracks zur Tür hinaus. Kurz darauf drang Pferdegetrappel von der Straße her - die Männer ritten im Galopp aus dem Dorf heraus.
Ich stützte mich auf mein Schwert ab, die Schwäche überkam mich wie eine Brandungswelle.
Der Vorgang hatte mich viel Kraft gekostet. Schweißperlen rannen mir über die Stirn und mein Blick wurde unklar, bunte Lichter flimmerten am Rande meines Sichtbereichs. Langsam kamen die Dorfbewohner zu mir.
»Herr Wanderer, seid ihr verletzt?« 
»Nein.«, sagte ich. »Mir geht es gut. Es ist höchste Zeit, dass ich diese Gegend verlasse. Ich war schon viel zu lange hier.« 
»Aber ihr müsst euch ausruhen, bitte. Ihr habt uns gerettet, wir schulden euch Dank.« Ich riss mich los. Auf meinen Stock gestützt hinkte ich zur Tür. Auf der Schwelle wandte ich mich um.
»Verbrennt die Leichen. Körper, die mit verbotener Magie verunreinigt wurden, bleiben ungern lange tot. Dann verlasst diesen Ort.« 
Ich trat hinaus in das Unwetter und zog mir die Kapuze über. Die Stimmen der Wirtin, ihres Mannes und der Dorfbewohner, die mir nachriefen, verschlang das Prasseln des Regens.

In den folgenden Jahren hörte ich viele Berichte über jenen arkanen Krieger in schwarzer Rüstung, der mit seinen verbotenen Künsten und seiner Kaltblütigkeit Angst und Schrecken auf den Schlachtfeldern und in den Reihen des Ordens verbreitete. Es stellte sich heraus, dass er eine eigenständige Untergruppe aus abtrünnigen Rebellen anführte, die sich von Kilana Hammerschlag abgekapselt hatten. Woher er ursprünglich kam, kann ich nicht sagen, aber dass er jemals wieder einen Fuß in das Dorf gesetzt hat, bezweifle ich. Ich bin damals bis auf den Grund der dunkelsten Schluchten seines Bewusstseins vorgedrungen, um seine tiefsten Ängste zu wecken und sie unwiderruflich mit dem Ort zu verknüpfen. Vor anderen Gefahren hat das die Bewohner gewiss nicht geschützt, und wie alle Siedlungen im Düstertal blieb auch diese nicht vor den Verheerungen des Konflikts verschont. Den Kampfstil dieses Kriegers in der schweren, schwarzen Plattenrüstung, der die Künste der Sinistra beherrschte, will ich den "Dunklen Hüter" nennen.