Nehrim:Am Ende einer Reise

Aus Sureai
Wechseln zu: Navigation, Suche

< Nehrim: Gegenstände: Bücher

Ein Boot...Die Möwen kreisen schreiend über ihm...Nebel...kein Lüftchen regt sich, doch ist es schmerzend kalt. Zwischen leeren Leinensäcken und zersplitterten Glasflaschen liegt ein großes Bündel, eingehüllt in dünnem Stoff. Heraus gucken zwei dreckige, zitternde Füße, an dem anderen Ende sieht man einen ebenso ungepflegten Schopf Haare. So langsam regt sich etwas. Eine fahle, blasse Hand zieht die Decke langsam über den Körper hinweg. Ein Mensch tritt zu Tage. Er schleppt sich an den Rand des Bootes. Kniend schaut er in das spiegelnde Wasser. Durch den verschwommenen Spiegel erkennt er sich selbst. Sein Gesicht ist enorm abgemagert, die Haare grau, obwohl er erst weniger als 30 Jahre lebt. Er öffnet den Mund. Mehr als fünf, sechs Zähne kann man hier nicht bestaunen. Er schaut sich tief in die Augen. Der Mensch, er erkennt gar nichts, nur matte, graue Gebilde, in die er hineinstarrt. Er sinkt zurück auf das Lager, bestehend aus ein paar Säcken und diesem zerschlissenen Stück Stoff. Er greift nach etwas Essbarem. Er wühlt begierig, bis er einen leicht angefaulten Apfel findet. Fast genüsslich beißt er in das matschige Fruchtfleisch, nur um sich nachher wieder zu übergeben. Doch solange er sich satt fühlt, beobachtet er seine Umgebung. Das Boot misst nicht mehr als 12 Fuß, genauso seine Sichtweite. Das Einzige, was er sehen kann, ist die rasch aufgehende Sonne. Problemlos kann er in die vom Nebel stark verdunkelte Sonne hineinschauen. Die Möwen kreisen immer noch schreiend über ihm, als könnten sie den Tod riechen. Wimmernd wälzt er sich auf seinem Bettzeug. Der Mann wünscht sich nichts ferner, dass all diese Qualen ein Ende haben, egal, ob es auf Leben oder Tod hinausläuft. Doch an Selbstmord denkt er nicht...dafür liebt der Mann das Leben zu sehr, dennoch auf eine andere Weise. Er ist noch bei Bewusstsein und kann leider nur noch hoffen. Hoffen, dass dies endlich vorbei ist.

Plötzlich wird sein Denken unterbrochen, er kennt dieses schreckliche Gefühl und erfährt schmerzlich, was dies zu bedeuten hat. Sein Bauch schmerzt, als ob ihm jemand ein Messer hineinrammte, der Schmerz verlagert sich über die Brust bis in die Kehle. Gerade noch rechtzeitig erbricht er über dem Rande des treibenden Bootes. Was da herauskommt, wage ich nicht näher zu erläutern, doch man erkennt noch sehr gut das dunkelgelbe, ins Schwarze übergehende Fruchtfleisch des vorher verzehrten Apfels. Das Fahrzeug schaukelt stark, bis der Mann wieder auf seinem Lager ohnmächtig zusammenbricht. Als hätte er gerade eben seinen letzten Hauch Lebens ausgespuckt.

In dieser Position verharrt er noch ein paar Stunden bis es dämmert, genauso rasch wie am Morgen geht auch am Abend die Sonne unter. Die Monde zeigen nun ihr schimmerndes Antlitz, zum Glücke des einsamen Mannes ist der Nebel verflogen, ebenso die lästigen Vögel. Da hat er nun seinen Schimmer von Hoffnung. Ein Band aus dichten Sternenansammlungen überquert den gesamten Himmel. Ein leichter Wind weht, wärmer als die Luft im Nebel. Doch noch über dem Wasserspiegel hört das Sternenband auf. Der Mann sieht die Umrisse einer Landmasse. Wie besessen richtet er sich auf und paddelt mit seinen Händen der Küste entgegen. Das Wasser ist zwar immer noch sehr kalt, hält ihn aber nicht zurück. Der Weg zum Strand scheint endlos, seine dürren Arme hängen über den Bootsrand. Wie er seine Kräfte verlor, sank er auf sein Lager.

Er wacht auf. Sein Blick geht um. Der Einsame befindet sich in einem warmen, kleinen Raum mit geschmackvollem Mobeliar, lichtdurchflutet. Er steht von seinem Bett auf und schaut aus dem Fenster. Fassungslos starrt er auf die Küste. Die Sonne steht weit oben am Himmel, durch die vereinzelten Wolkenlöcher dringen helle Lichtstrahlen, die das Wasser zum Glänzen bringen. Ein weißer Strand...Die Blätter der satten, grünen Bäume wiegen sich im Wind, man hört nur das Knarren derselben und das ruhige Rauschen der Wellen. Es riecht nach Leben, das er sich so lang ersehnte. Eintritt des Hauses Herrn, ein dunkelhaariger, großer Mann mit einer leichten Hakennase und glänzenden, freundlichen Augen: „Endlich seid ihr wach, sagt mir, wer seid ihr?“ Der Gastgeber stellt eine große, heiße Schüssel randvoll mit Fleischsuppe dem Armen hin. „Ich danke!“, nuschelt der Mann unverständlich und säuft die Schüssel fast vollständig aus. „Wer ich bin?“, gibt der Arme eben so undeutlich von sich. Der Herr hört angestrengt hin. Der Arme denkt nach, er weiß bedauerlicherweise nicht mehr, wer er ist... “Es tut mir Leid, Herr, ich weiß es nicht.“, jammert die Gestalt. Der Gastgeber entgegnet freundlich: „Kommt erst einmal zur Besinnung, ihr habt sicherlich eine Menge durch.“ „Wo bin ich?“, unterbricht der Arme. „Seid ihr nicht von hier? Wenn nicht, dann müsst ihr ernsthaft den Verstand verloren haben. Dies, mein Gast, ist Nehrim. Ich kann nur stolz über dieses Land sein und genauso deswegen, weil ich hier geboren bin. In Nehrim lebt es sich sehr gut, ich kann mich eigentlich nicht beklagen...“ Der Fremdling schlürft den Rest seiner Suppe auf. Er schaut erneut aus dem Fenster auf die paradiesische Küste und flüstert vor sich hin: „Nehrim...Nehrim, du und deine Bewohner sollen gesegnet sein, dir verdanke ich mein Leben!“