Nehrim:Die Verbannung des Arkt

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Der dumpfe Klang der Kriegshörner verkündete den Untergang Xarmonars. Arantheal saß auf seinem Schlachtross und blickte grimmig hinunter zur Stadt, hinter ihm brüllten die Bannerträger ihre Befehle.
Die Stadt lag in einer Talsenke, es war also leicht gewesen sie vollkommen zu umstellen.
Im Zentrum der Stadt hob sich das Kuppeldach des Tempels deutlich von den anderen Gebäuden hervor, es war zugleich das Haus der Göttin als auch ein Tempel für den Schöpfer.
„Die Truppen sind in Position, nicht einmal eine Maus kommt aus der Stadt, ohne dass wir davon wissen.“ Sprach Kommandant Barateon.
Ein kehliges Lachen erklang Arantheals Rachen. „Das glaubt auch nur Ihr, Kommandant. Wir kämpfen hier gegen Götter und nicht gegen Landstreicher.“
Arantheal blickte gespannt zum Himmel.
„Was seht Ihr, Arantheal?“ fragte Barateon etwas eingeschüchtert.
„Ich habe ihn längst gesehen, er ist uns die ganze Zeit schon gefolgt…“
„Wer ist uns gefolgt? Sollen wir dann die Stadt nicht schnell stürmen?“
„Nein. Ihr wartet hier, ich werde allein gehen...“
Entsetzt riss Kommandant Barateon die Augen auf. „Ihr wollt ganz allein eine Stadt erobern?“
Arantheal grinste fast bösartig. „Überlasst das mir, Kommandant. Ich zweifele zwar nicht daran, dass ich die Stadt allein erobern könnte, aber ich habe gerade eine andere Idee...“
Schließlich ergriff er die Zügel seines monströsen Schlachtrosses und gab ihm die Sporen.
„Wartet auf mein Zeichen… Es gibt keinen Sieg gegen Tel Imaltath.“
Schrie Narathzul Arantheal und preschte auf die Stadt zu.


Mit einem sanften Flügelschlag setzte der Rabe auf dem Gras vor der Stadt auf. Die ganze Zeit über hatte er Arantheal beobachtet, nun gab es die Gelegenheit zur Rache. Mit einer fast anmutenden Geste verwandelte sich der Rabe in seine ursprüngliche Gestalt. Arkt umklammerte den Griff seines Schwertes und schritt durch die offenen Tore Xarmonars auf die offenen Straßen. Die Straßen waren wie leer gefegt, genau wie die Tore. Niemand schien hier zu sein. Obwohl die Nacht inzwischen hereingebrochen war, brannten auch Lichter in den Häusern. Arkt wusste, dass Arantheal allein in die Stadt geritten war, er hatte ihn gesehen. Eine bessere Gelegenheit zur Rache gab es nicht. Rache dafür, dass Arantheal seine Liebste Zelara gerichtet hatte. Er musste für seine Verbrechen an ihr und an der Menschheit büßen.
Der Erzseraph sah sich um. Nichts. Kein Mensch weit und breit. Es gab auch keine Toten oder irgendetwas, das auf einen Kampf hingedeutet hätte.
Leise fluchend machte Arkt sich wieder auf den Weg.
Ohne zu wissen wohin er zu gehen hatte, fand er seinen Weg ins Zentrum der Stadt, der große Platz an dem der massive Tempel des Schöpfers stand war ebenso verlassen wie die Stadt selbst. Oder etwa doch nicht? In diesem Moment wurden die Tore des Tempels mit Gewalt aufgestoßen, Menschen stürmten ihn entgegen, es waren die Stadtbewohner. Die Gesichter der Menschen waren ernst, und ängstlich…
Sie begannen einen Kreis um Arkt zu bilden, panisch drehte sich der Erzseraph um die eigene Achse und sah dem Geschehen zu.
Was wurde hier gespielt?
Eine der Gestalten, das Gesicht mit einer Kapuze vermummt, drängelte sich durch die Massen und kam nur wenige Fuß vor Arkt zum stehen.
Dann zog er die Kapuze ab.
Arkt blickte in das eiskalte Gesicht Narathzul Arantheals, der vor ihm in einer Mönchskutte stand.
„Ich habe mit dir gerechnet, Erzseraph“ flüsterte Arantheal so leise, dass ihn außer Arkt niemand hören konnte - „nun werde ich prüfen, wie loyal du zu deinen Göttern stehst… Wie sehr dich deine Gefühle leiten, und wie weit du für sie gehen wirst… Und ob du die Kunst der Vergebung beherrschst.“
„Ich bin ein Erzseraph, nichts, was du ins Feld führst, kann mich fällen!“ schrie Arkt so laut, dass es jeder hören konnte.
„Ist das so, oh großer Erzseraph? Bewohner Xarmonars, wie ich euch berichtete, haben wir hier den Anführer der Armee, die eure Stadt umstellt hat!“ donnerte Arantheals Stimme über den Platz. „Nur die Götter wissen, warum er sich allein hier her gewagt hat, aber wir werden an diesem Verräter ein Exempel statuieren!“
Die Massen buhten laut auf.
Arkts Nackenhaare stellten sich auf, er verstärkte den eisernen Griff um sein Schwert.
„Was wird hier gespielt, Arantheal?“
„Wie ich es Euch gesagt habe, Bewohner Xarmonars, er wird lügen und bestreiten, eure Stadt dem Erdboden gleichmachen zu wollen! Aber wir fallen nicht auf diese Lügen herein, tötet ihn, diesen Verräter!“
„Arantheal, was habt ihr diesen Menschen eingepflanzt?!“ Arkts Stimme war zu einem zornigen Fauchen geworden.
„Nur zu, Erzseraph, nun zeige, wie loyal du zu deinen Herrn stehst!“ Ein hämisches Grinsen breitete sich auf Arantheals Lippen aus. „Los, zeigt diesem Verräter, was es heißt, sich mit Göttin Irlandas Volk anzulegen!“
Arantheal drängelte sich wieder durch die Massen und verschwand aus Arkts Sichtfeld.
Die Stadtbewohner bewaffneten sich mit Knüppeln und Mistgabeln und stellten sich um den umzingelten Erzseraph.
Verzweifelt sah Arkt sich um, zwar wären Stadttrottel wie diese Menschen keine Bedrohung für ihn, dennoch waren sie unschuldig. Es waren unschuldige Seelen, Arantheal hatte ihnen eine Lüge eingeflößt und ihnen gläubig gemacht, er stünde hinter den Truppen, die die Stadt umzingelt hätten.
Sie waren unschuldig…
Kinder, Frauen, Greise!
Unschuldige zu töten war gegen jeden Eid, jedes Gebot, die er je einzuhalten geschworen hatte.
Er war Wächter der Welt, kein Henker… Was würden die Götter dazu sagen? Aber er konnte Arantheal aufhalten, hier und jetzt, so weiteres Blutvergießen verhindern und Zelara rächen. Arkt hatte also keine Wahl.
Ungewissheit führte zu Vernichtung.
Unsicherheit zum Tod.
Keines davon konnte er sich leisten.
Er wusste was zu tun war.
Zu jedem Preis.
Zornig verstärkte er seinen gepanzerten Griff um seinen Zweihänder.
Während um ihn herum hunderte Stadtbewohner auf ihn zustürmten murmelte Arkt leise vor sich hin. „Mögen die Götter mir diese blutige Tat verzeihen, möge meine Seele Gnade erfahren für das Unrecht, das ich diesen Menschen zu teil werden lasse. Möge der Erschaffer ihrer Seele gnädig sein, die der Freiheit der Welt geopfert werden müssen.“
Prasselnder Regen setzte ein, als Arkt, mit Tränen in den Augen, wie der Tod selbst durch die schreiende Menschenmenge pflügte, Leben um Leben erlöschen ließ.
Ein schneller, schmerzloser Tod…
Blut bedeckte den Platz, vermischte sich mit dem Regen und den bitteren Tränen des Erzseraphen.
Nach wenigen Minuten war alles still, mit einem leisen Seufzen sank Arkt erschöpft auf die Knie und stützte sich auf sein Schwert. Er war vollkommen mit Blut bespritzt.
Ein furchtbares Gefühl überkam ihn. Diese Tat… Dieses Gemetzel war für immer in sein Herz, in sein Fleisch, seine Seele gebrannt.

Ein gepeinigter Schmerzensschrei hallte durch den Tempel Xarmonars.
Das Licht der flackernden Kerzen warf einen matten Schein auf Arkts Haut.
Der Seraph kniete auf dem steinernen Boden und hatte die Hände zum Gebet vor der Brust verschränkt.
„Zweihundert unschuldige Seelen.“ flüsterte er.
Ruhig öffnete Arkt die Augen und verstärkte den Griff um das Messer, das er in der Hand hielt.
Langsam und gemächlich begann er, schnitt sich in Arme und Beine, bis sein ganzer Körper mit kleinen Schnitten übersäht war.
Zweihundert blutende Schnitte.
Er empfand dies als den mindesten Akt der Buße…
Ohne zu schwanken begann er zu beten, bat die Götter um Vergebung für seine Taten. Diese Tat... Er hatte aus Rache gehandelt. Eine ganze Stadt sinnlos geopfert, um Arantheal zum Schafott zu führen. Ein Verhalten, das die Götter niemals gutheißen werden.
Ein schallendes Lachen erklang hinter ihm.
„Beeindruckend. Sehr beeindruckend.“ Erklang Arantheals Stimme.
Wie kann er es wagen!
„Dafür wirst du bezahlen!“
Die Stimme des Erzseraphen troff vor Hass, als er die Hand auf Arantheal richtete.
Durch Arkts Magie wurde Arantheal einige Meter angehoben, die Magiefäden um ihn herum hielten ihn in eisernen Fesseln.
Er wollte Arantheal allein gefangen nehmen und ihn nach Inodan bringen, um ihm dort den Prozess zu machen. Er wäre als ehrenvoller Held hervorgegangen, der den Tel Imaltath gestürzt hätte. Nun musste er zurückkehren als blutrünstiger Rächer an Irlandas Volke. Er würde als Erzseraph verbannt werden, ganz sicher... Das heißt, dass Ehre nun keine Bedeutung mehr hatte. Arantheal musste sterben. Nicht in Inodan. Hier und jetzt!
Für das, was er getan hatte, verdiente er nichts anderes als einen qualvollen Tod.
„Dann tue, wozu du gekommen bist, Arkt… Gib dich ganz deinem Hass hin, lass Rache walten!“
Arkt ergriff hastig seinen Zweihänder und stürmte schreiend auf Arantheal zu, aber gerade in diesem Moment wirkte Arantheal einen Gegenzauber.
Arkts Klinge fiel scheppernd zu Boden, er verlor den Halt unter den Füßen und wurde nach hinten gerissen, wo sein Körper mit brachialer Gewalt die Mauer des Tempels durchbrach und auf dem Leichenberg vor dem Tempel aufschlug.

Geschickt kletterte Arantheal durch das Loch, das Arkt in die Wand geschlagen hatte und blieb vor dem am Boden liegenden Seraph stehen.
Der Regen war stärker geworden, nun schlugen donnernde Blitze um sie herum ein, hüllten das Szenario in eine fast unheimliche Atmosphäre.
Das Wasser hatte das Blut der Getöteten verwässert und inzwischen den gesamten Platz rot gefärbt.
Arantheals Mundwinkel zuckten amüsiert.
„So berechenbar. Ich wusste, dass du in die Stadt kommst. Sieh dich an, Arkt. Nun watest du im Blut derer, die du hast retten wollen… Ich habe dir doch gesagt, dass ich prüfen werde, wie weit du gehen wirst. Und das war deine Prüfung. Was habe ich gesagt? Ich prüfe, wie loyal du zu deinen Göttern stehst. Hättest du Loyalität bewiesen, hättest du diese Menschen nicht töten dürfen.“
Arantheal schlich wie ein Raubtier um den am Boden liegenden Körper. Arkt hatte nicht mehr die Kraft aufzustehen, seine Gedanken waren wie gelähmt…
„Und nun, sieh dir an, was du angerichtet hast, Arkt. Du bist ein Mörder. Ich verachte Mörder. Wenn jemand durch mein Handeln sein Leben verlor, hatte dies immer einen Grund. Sie waren Opfer in einem Kampf um die Freiheit. Um ihre Freiheit. Sie starben für etwas Sinnvolles, für etwas Großartiges. Für das Große und Ganze. Diese Menschen starben grundlos!“ sprach Arantheal fast lachend. „Ja, dein Motiv war Rache. Die Menschen hier sind ganz allein Opfer deiner Rachegelüste geworden, du hast sie nur wegen deiner Rache in den Tod geschickt! Es ist also deine Schuld! Tyr wird das niemals dulden können.“
Arkt vernahm ein Wimmern, so entsetzlich es klang, er hatte Recht… Ob Tyr ihm dies je vergeben wird?
„Hattest du es noch nicht begriffen? Rachegelüste vergrößern das eigene Leid nur. Das war deine Prüfung. Und du hast versagt. Jetzt musst du den Preis bezahlen. Den Preis dafür, für nichts gelebt zu haben als deine Rache. Deine Götter werden dir keine Erlösung und keine Vergebung zuteil werden lassen, und dein Schöpfer auch nicht. Du glaubtest, du könntest die Welt retten... Und wusstest nicht, welch Hass in dir lodert. Siehst du, auch wenn du es bestreitest, tief im Herzen sind wir uns gleich. WIR SIND UNS GLEICH!“ schrie Arantheal den am Boden liegenden Seraph an.

„Wenn das so ist...“ flüsterte Arkt, „werde ich Tyr vernichten, genau wie dich! Niemand kann mich aufhalten, Arantheal. Was du schaffst, schaffe ich auch. Wenn Tyr mich verstößt, wenn du Tel Imaltath wirst, werde ich etwas besseres...“ Arkt bäumte seine letzten Kräfte auf, verwandelte sich wieder in die Gestalt des Raben, plötzlich fühlte er neue Kraft, mächtige Flügelschläge entfernten ihn von diesem blutigen Schlachtfeld, dem stürmischen Wind entgegen, und nur das Grollen des Gewitters übertönte Arantheals Gelächter weit unter ihm.