Nehrim:Dunkle Runen

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Dunkle Runen

Ein Tag wie jeder andere. Mord, Diebstahl, Vergewaltigung. Alltägliche Dinge des Lebens also. Meines Lebens, um genauer zu sein.
Gleich würde der große Kirchturm die zweite Stunde ankündigen und meiner öden Wachschicht ein Ende bereiten… für einige Stunden zumindest. Bis ich wieder raus muss, in die versifften Straßen dieser dunklen, dreckigen Stadt.
Vielleicht wäre mein Leben leichter zu ertragen, wenn da nicht dieser ständige Regen wäre, der das trostlose Grau der grauen, gammeligen Wände und den von Fäkalien übersäten Boden noch einmal zusätzlich in seinem Elend betont. Zumindest unterdrückt der Regen diesen abstoßenden Gestank, von dem mir jedes Mal die Galle hochkommt.
Naja, wenigstens kann ich all dem für einige wohlverdiente Stunden entkommen. Denn gleich werde ich von Arston, diesem kleinen Hosenscheißer abgelöst. Keine Ahnung, wie der zum Wachdienst gekommen ist. Der macht sich ja schon beim Anblick einer normalen Leiche fast in die Hose, eine Leiche mit sagen wir mal… zwei, drei Stichwunden… total harmlos, wenn ich daran denke, was wir letzten Winter hinter der Schmiede gefunden haben. Eine unglaubliche Sauerei. Nun ja, sowas passiert nun mal. Zumindest kann ich mich gleich aufs Ohr hauen, dahinten ist ja schon das Wachhaus.
So gehe ich mit schwer stapfenden Stiefeln in Richtung Wachhaus, eine kleine, heruntergekommene Bude und der einzige Ort in dieser Straße, an dem noch Licht brennt. Ein dreckiger Ort, wie jeder andere in dieser Stadt. Zumindest in Unter-Orethjan.
Ober-Orethjan, das reiche, wunderschöne Orethjan im Osten ist ein ganz anderer Ort. Dort leben die Menschen in Reichtum und Überfluss und ihre einzige Sorge ist die, am Überfressen zu sterben. Die Menschen dort sind Schweine und hätte der Metzger Verwendung für sie, er wäre wohl vergrämt, denn die Schweine, die ihm der Bauer brachte, sind nicht einmal halb so fett… Es soll ja Menschenfresser geben… verrückt. Nun ja, eigentlich gar nicht so verrückt, denn ich wundere mich so oft aufs Neue, was es in dieser Welt so gibt, dass ich langsam aufhöre, mich über neue Unarten des Menschen zu wundern…
Wenn man es genau nimmt, dann sind Unter- und Ober-Orethjan eine Stadt und das Unter und Ober hat geographisch nichts mit Nord und Süd zu tun, aber die Welten in denen sich diese Städte befinden sind zwei vollkommen verschiedene. Getrennt durch eine unbarmherzig hohe Mauer, sind es zwei Städte in einer, mit dem gleichen Oberhaupt, auch wenn dieses sich ja eigentlich einen Dreck um Unter-Orethjan schert. Und selbst die Mauer hat zwei Gesichter, denn auf der westlichen Seite ist sie genauso dreckig und grau wie der Rest der Stadt und die andere Seite ist, so wie ich es sogar mit eigenen Augen gesehen habe, mit edlem weißen Granit belegt, durch welches sich schmale schwarze Linien ziehen und welches mit Gold, Silber und Juwelen verziert ist.
Zwei wirklich unterschiedliche Welten. Zwei Welten, in denen aus neutraler Sicht gesehen doch recht verwunderliche Verhältnisse herrschen. So ist es der größte Wunsch der im Westen lebenden, nach Ober-Orethjan zu gelangen, was ihnen aber nur in den seltensten Fällen erlaubt wird. Die Leute aus der östlichen Welt aber können gehen, wohin sie wollen und in die Westliche einspazieren, wie es ihnen beliebt. Doch ist es hier gerade andersrum, die meisten östlichen Bewohner nähern sich dem Tor nicht einmal auf hundert Meter, aus Angst es könnte von diesen dreckigen Wilden im Westen gestürmt und sie totgeschlagen werden.
Ein wirkliches Trauerspiel.
Prüfend blicke ich zum Kirchturm hinauf, den ich in der Dunkelheit natürlich nicht sehen kann und denke mir, dass das große Ding endlich mal das Ende meiner Schicht ankündigen könnte. Ein schwerer Schritt mit dem rechten Fuß in die scheinbar unendlichen Tiefen des Matsch und Unrats, ein Schritt mit dem linken und ein ekliges flutschen des rech…. Meine Gedanken werden durch einen leisen Schrei links von mir unterbrochen. Ich hebe meine schwache Laterne und blicke durch den Regen. Da steht eine Tür offen. Wieder blicke ich zum Kirchturm hinauf und wieder kann ich ihn nicht sehen.
Verdammt, was soll ich tun?
Einfach weitergehen und dieses kleine Arschloch, wie ich ihn gerne nenne, darauf aufmerksam machen, dass hier etwas nicht stimmt und ihm die Arbeit überlassen? Wieder ein Blick zum Kirchturm, abwechselnd mit dem Blick zur leicht geöffneten Tür. "Ach verdammt", murmele ich mir in meinen Bart und gehe in Richtung der Tür… „Hallo?“.... „Hallo?“... keiner antwortet. Leise öffne ich die Tür. Den Handwerker, der sie einsetze, hätte ich am liebsten mit eigenen Händen erwürgt, eine wirkliche Scheißarbeit, denke ich mir, als das markerschütternde Quietschen ertönt. Noch ein lautes Hallo von mir und wieder keine Antwort von drinnen. Meine Laterne erleuchtet den kleinen Raum… heruntergekommen, dreckig, stinkend. Hier gibt es nichts zu stehlen, außer vielleicht den vollgeschissenen Nachttopf, über den ich gerade fast gestolpert bin, aber wer ist schon so krank, dass er so etwas stehlen würde. Sicherlich einige, aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Mord, oder Vergewaltigung, das ist wohl das Wahrscheinlichste. Entweder würde da oben gleich irgendein Psychopath sitzen, vielleicht ja einer dieser Menschenfresser. Oder ein alter, stinkender Sack, mit dem nicht einmal die Huren etwas zutun haben wollen. Wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, dann hätte man auch eines dieser fetten Schweine aus dem Osten vermuten können. Angeblich schleichen sich einige von Ihnen des Nachts zu uns und vergewaltigen unsere Frauen. Die einfache Bevölkerung liebt diese Geschichten, um sich innerlich so richtig gegen die fetten Schweine aufzubauen. Ich halte sie für ausgemachten Blödsinn. Die Dicken auf der Ostseite haben ihre eigenen Hurenhäuser… die würden sicherlich nichts von einer halb ausgemergelten, stinkenden Armen wollen. Außer vielleicht diese geistesgestören Schweine, die es geben soll, aber auch das ist wieder eine andere Geschichte.
Mir entweicht ein leiser Seufzer. So eine Scheiße, und genau vor Schichtwechsel. Gerade in diesem Moment läutet der Kirchturm. Verdammt, am besten bringe ich die Sache schnell hinter mich. Schnell schlage ich die einzige Tür im ersten Geschoss auf und sehe mich um, kaum Möbel und auch hier ist es dreckig und es stinkt. Aber nicht so stinkend, wie ich eigentlich erwartet hätte. Kein fetter Psychopath, keine blutige Leiche. Bloß ein leises Wimmern. Ich sehe mich um. In der Ecke sitzt eine Frau, leise weinend mit herunterhängenden, fettigen Haaren und alten, zerschlissenen Sackleinen am Körper. Immerhin noch eine „reiche“ Arme, so wie man sie hier nannte, denn solche Leute gehörten zu denen, die zumindest eine winzige Hütte für sich alleine hatten. Obwohl, man weiß ja nie, welcher Bank oder welchem Mann sie Geld schuldet, vielleicht wird sie hier von irgendeinem Reichen gnadenlos ausgenommen, nur damit sie hier wohnen darf. Langsam gehe ich auf sie zu und versuche sie zu beruhigen, frage nach ihrem Namen, doch sie presst ihre Hände bloß stärker gegen ihr Gesicht.
„Hören Sie, ich will Ihnen nur helfen. Helfen!“
Plötzlich blickt die Frau hoch und sieht mich mit ihren tiefen, dunklen Augen an. Ihr Gesicht ist eingefallen und um ihre Augen liegen tiefe Ringe.
„Sie wollen helfen?“, fragt sie leise und mit einem leicht verwunderten Ton.
„Darum bin ich hier“, antworte ich ihr mit fester Stimme.
„Sie dürfen aber nicht hier sein, schnell gehen Sie oder Sie werden sterben!“
Das war einmal eine Aussage. Ich starre sie kurz mit offenem Mund an, sammele mich aber wieder schnell und antworte: „Nein, ich will Ihnen helfen. Was ist hier denn los?“
„Er wird kommen und Sie holen… Helfen! Helfen!!! Niemand kann mir helfen. Aber Sie können anderen helfen. Nehmen Sie das. Nehmen Sie das. Nehmen Sie diesen Beutel und werfen Sie ihn in das tiefste Gewässer, dass Sie kennen. Oder das heißeste Feuer.“
Sie reicht mir mit ihren klauenartigen Fingern den Beutel und ich nehme ihn in meine schwülstige Hand. Verdammt schwer, für so einen kleinen Beutel.
„Und jetzt gehen Sie!“
Ich halte mir die Ohren zu. Bei ihren letzten Worten schreit sie mich schrill an und verpasst mir eine deftige Ohrfeige. Ich stehe taumelnd auf und bewege mich nach hinten.
„Beruhigen Sie sich!“
Sie steht auf und geht auf mich zu.
„Gehen Sie, bitte, ich bitte Sie, gehen Sie oder er wird Sie holen, genauso wie er mich holen wird!“, fleht sie mit ihrer schrillen Stimme und sie bricht wieder in Tränen aus. Ich will auf sie zugehen und sie beruhigen, doch sie rennt bloß auf mich zu und – schubst mich mit einer Kraft, die ich ihr nie zugetraut hätte in Richtung ihres lederbespannten Fensters. Ich sehe meine Laterne fallen und auf einigen lumpigen Kleidungsstücken aufschnellen – Scheiße- ich sehe gerade noch wie sie Feuer fangen – Scheiße!- und blicke in das vom Feuer beleuchtete Gesicht der Frau, welches auf einmal über und über mit schwarzen Symbolen verziert ist. Ich spüre wie mein Rücken auf das dünne, trockene Leder auftrifft. Höre es reißen. Von hinten nähert sich der Frau ein Schemen und ich will sie warnen, doch da falle ich schon und kaum einen Augenblick später lande ich mit dem Rücken in der Scheiße… oder im tiefen Matsch, aber ich komme nicht wirklich dazu, mir den Boden unter mir anzusehen, denn schon wird alles schwarz. Oder weiß? Ein weißer Blitz. Oder ein schwarzer? Was war das? Scheiße! Und verschwunden ist die Welt vor meinen Augen und weg bin ich.

Autor:
Der Adlige geschockt! Wie kann man bloß solche Wörter in einem Buche verwenden? Der, nennen wir ihn „Normalbürger“, hoffentlich gut unterhalten und gespannt auf den nächsten Teil. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, außer vielleicht, dass er noch spannender wird. Auch für den Adligen, wie ich mit einem Schmunzeln noch hinzufügen will. Wie schockierend der reale Umgangston doch sein kann.
Doch lest einfach weiter, in Teil 2 – dunkle Runen.

Martin Rabe