Nehrim:Gabor

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Gabor rannte. Gabor rannte um sein Leben. Hinter ihm kreischte und schrie die Meute. Er schlitterte um eine Ecke und knallte beinahe gegen eine Wand, weil der Boden wie mit Öl übergossen war. Er stützte sich an der Steinwand ab und holte tief Luft. Dann spurtete er weiter. Er musste die Oberfläche erreichen. Er musste die anderen warnen. Er musste …


Einen Tag zuvor

„Nein, Gabor!“, rief Janos. „Da hat es mir zu viele Stacheln dran!“
Doch Gabor hörte nicht auf ihn und kämpfte sich bereits durch das Gebüsch. Die beiden Jungen hatten sich an einem sonnigen Nachmittag dazu entschieden, die Umgebung ihres neuen Dorfes zu erkunden, in das sie gerade erst vor wenigen Tagen gezogen waren.
„Och menno …“, jammerte Janos und stapfte Gabor hinterher.
Von aussen her hatte das Dickicht nicht allzu gross ausgesehen, doch im Inneren war es bedrohlich finster und Janos hatte das Gefühl, als würde ihn jeden Moment ein wildes Tier anspringen. Als er seine Ängste Gabor mitteilte, lachte dieser kurz auf und versicherte ihm, dass sich keine Bestie in dieses Gebüsch wagen würde, dafür sei es viel zu dicht.
„Doch wir gehen einfach so hinein?“
„Ja“, antwortete Gabor und kämpfte sich weiter voran. Plötzlich stand Gabor auf einer Art Pfad.
„Na bitte, geht doch!“, bemerkte er grinsend und liess Janos den Vortritt.
Sie waren etwa zehn Minuten marschiert, als der Weg aus dem Gebüsch hinausführte: Sie standen vor einer hohen Felswand, in die ein grosses, schweres Holztor eingelassen war.
„Was wohl dahinter ist?“, überlegte Gabor laut.
„Sicher nichts Gutes, denn ansonsten hätten sie die Türe nicht so gut verschlossen“, meinte Janos und zeigte einen Holzbalken, den jemand quer über der Pforte gelegt hatte.
„Wo ein Wille, da ein Weg“, meinte Gabor, wandte sich nach links und begann die Felswand entlang zu laufen. Weil es bereits eindunkelte, machte sich Janos Sorgen und drängte Gabor zur Umkehr. Doch dieser liess sich nicht so leicht erweichen und suchte weiter nach einem anderen Eingang. Janos wollte nicht alleine zurück ins Dorf, also half er ihm gezwungenermassen suchen. Doch sie blieben erfolglos und so machten sie sich auf den Heimweg. Gabor nahm sich jedoch vor, morgen noch einmal hier vorbeizukommen.

Zu Hause liess er nichts über diese ungewöhnliche Entdeckung verlauten und ging sogar ungewöhnlich früh zu Bett, um am nächsten Morgen früh fit für weitere Erforschungen zu sein.
Kurz nach Sonnenaufgang traf er sich wie verabredet ein wenig ausserhalb des Dorfes mit Janos und sie machten sich auf zur grossen Tür. Heute hatten sie nicht so viel Glück wie gestern, denn sie fanden den Pfad nicht mehr und schlugen sich durch das Gebüsch bis zur Felswand durch. Doch das Tor fanden sie auf Anhieb. Gabor drehte sich zu Janos um.
„So, in welcher Richtung suchen wir zuerst? Links hatten wir gestern nicht besonders viel Glück, aber vielleicht heute …“
„Weiss nicht …“
„Was weißt du denn überhaupt?“, fragte Gabor schmunzelnd und wandte sich entschieden nach rechts.
Sie gingen der Felswand so lange entlang, bis sie abrupt endete und sie vor einer Schlucht standen.
„Tja, Pech gehabt“, sagte Janos und wollte sich gerade zum Gehen wenden, da hielt ihn Gabor an der Schulter zurück und deutete in die Höhe. Janos wandte seinen Blick nach oben, sah direkt in die Sonne und musste einige Male blinzeln. Dann entdeckte er einen Tunnel, der anscheinend direkt in den Berg hineinführte. Doch er lag gut fünf Meter über ihnen.
„Da kommen wir doch niemals rauf!“, stellte Janos fest und drehte sich zu Gabor um, doch dieser war nicht mehr da. Janos sah nach oben. Dort hing Gabor über ihm in der Felswand. Anscheinend gab es so eine Art Weg, auf dem man den Eingang in den Berg leicht erreichen konnte.
„Och menno …“, jammerte Janos und kletterte Gabor hinter her.
Kurz später standen sie beide schwer schnaufend vor der Höhle. Diese war so tief, dass das Sonnenlicht nicht bis ganz nach hinten reichte.
„Dann wollen wir mal!“, sagte Gabor und schritt mutig voran.
„Aber …“, quengelte Janos. „Aber da ist es doch viel zu dunkel!“ Doch Gabor war bereits ausser Hörweite. Janos wollte nicht als Feigling dastehen und ging ihm hinterher.
Nach einigen Minuten hatte er Gabor bereits aus den Augen verloren. „Gabor!“, rief er in die immer dichter werdende Dunkelheit. „So warte doch auf mich!“ Doch er bekam keine Antwort. Durch die Finsternis war er nun gezwungen, sich an der Wand entlang zu tasten, und plötzlich prallte er gegen etwas. Hier war der Tunnel anscheinend zu Ende, doch wo war sein Freund abgeblieben? Wieder hinaus war er nicht gekommen; die Höhle war zu schmal, als dass er sich an ihm hätte vorbei drücken können. Wo zur Hölle blieb er also?

Gabor war ebenfalls gegen die Wand gelaufen, vor der Janos nun stand, doch er hatte bemerkt, dass der Tunnel hier nur einen scharfen Linksknick hatte und dann weiter führte.

Janos hatte fünf Minuten gewartet, dann kehrt gemacht und war zurück zum Tageslicht geeilt. Dort stand er nun fünf Meter über dem Boden, ohne eine Chance herunter klettern zu können, denn er war nicht gerade der Sportlichste. So drehte er sich abermals um und tastete sich wieder in den Berg hinein.

Gabor hatte mittlerweile eine Art Höhle erreicht, die so hell erleuchtet war, als hätte sie keine Decke. Gabor konnte nirgends eine Lichtquelle entdecken und blieb so erst einige Minuten in seinem Tunnel, bevor er sich ins Licht wagte.
Dies gab Janos die Möglichkeit, ein gutes Stück aufzuholen und er sah gerade noch, wie sich eine Gestalt erhob, sich kurz umsah und dann in Richtung eines weiteren Tunnels eilte. „Hey! Warte!“, rief Janos und wollte hinterher stürmen, doch er bemerkte zwei Schatten, die an die Wand eines dritten Tunnels geworfen wurden und sich in seine Richtung bewegten. Rasch zog er sich wieder in die Dunkelheit zurück. Zwei Monster gingen vorüber, ohne ihn zu bemerken, wie er im Schatten kauerte. Janos konnte nicht wirklich erkennen, was sie waren, das Einzige, was er sah, war grüne Haut und Stosszähne. Er wartete zur Sicherheit noch zwei Minuten, dann wagte auch er sich in die lichterfüllte Höhle, betrat den düsteren Tunnel, in dem Gabor verschwunden war und hetzte ihm hinterher.

Dieser hatte unterdessen bereits die Dunkelheit wieder hinter sich gelassen und die nächste Höhle betreten. Sie war ebenfalls hell erleuchtet, doch das Licht war von einer anderen Art, irgendwie erschien es ihm hier … kälter als im Raum zuvor. Er sah sich genauer um und bemerkte, dass in regelmässigen Abständen kleine Kristalle in die Wand eingelassen waren, von denen das Licht kommen musste. Er trat heran und betrachtete einen genauer …

Janos sah bereits das Ende des Tunnels und auch eine Gestalt, die sich zur Wand beugte, als gäbe es dort etwas zu sehen, als ihn plötzlich eine starke Hand von hinten packte. Keuchend wandte er sich um und blickte in ein grünes Gesicht mit Stosszähnen.
„Glaubst wohl, wir hätten dich übersehen, was? Übersehen?“, grunzte das Etwas. “Nein, nein. Wir sind nicht dumm … Sind nicht dumm.“
Janos dachte aufgrund der langsamen Sprechweise und des Gestankes etwas anderes, aber er behielt es lieber für sich.
Ein zweites Monster tauchte auf. „Lass ihn uns gleich hier fressen!“, meinte es. „Wozu mit dem Klan teilen?“
„Weil es Gesetz ist. Gesetz!“, fuhr es das Erste an. „Und wir halten uns daran. Halten uns daran! Wir sind schliesslich nicht dumm. Nicht dumm!“
Anscheinend war es grenzenlos von seiner Intelligenz überzeugt, doch Janos hielt es nun für noch weitaus weniger scharfsinnig als vorhin.
„Na gut, aber lass uns gehen, ich habe Hunger … Hunger!“ Damit wandte sich das zweite Monster ab und verschwand in der Dunkelheit.
Janos löste sich aus seiner Schreckensstarre und schrie nach Gabor, doch da wurde ihm auch schon eine Hand auf den Mund gepresst. Er spürte den Druck eines spitzen Gegenstands im Rücken, der ihm unmissverständlich mitteilte, was das Monstrum wollte: Nämlich, dass er sich bewegte.

Gabor drehte sich erschrocken in die Richtung, aus der er gekommen war. Er glaubte, jemand seinen Namen rufen zu hören. Als er nochmals hinhörte, war aber nichts mehr zu hören.
Wo zur Hölle blieb eigentlich Janos? Wahrscheinlich war dieses Muttersöhnchen bereits wieder nach Hause gerannt, als es ihm im Tunnel zu dunkel wurde.
Gabor aber liess auch diese Höhle hinter sich und betrat die nächste. Sie wurde wiederum von einem Licht erfüllt, diesmal aber wieder auf eine komische Art … kalt. Noch kälter, als die letzte. Doch sie wurde auch von einem gelben Glanz erfüllt und dieser kam von dutzenden gelben Klumpen, die herumlagen. Gabor hob einen von ihnen auf. Und liess ihn gleich wieder fallen. Er war eiskalt. Nein, kälter als Eis. Er ging in die Knie und betrachtete ihn genauer. Er hatte etwas magisch Anziehendes. Etwas, das ihn die Welt um sich herum vergessen liess. Und er schreckte erst hoch, als ihm ein spitzer Gegenstand in den Rücken gedrückt wurde.
„Aufstehen! Aufstehen!“, grunzte jemand hinter ihm.
Gabor hob beide Arme und kam dem Befehl nach. Dann drehte er sich um und sah in das entstellteste Gesicht, das er je gesehen hatte. Es war von grüner Farbe und aus den Mundwinkeln ragten Stosszähne.
„Umdrehen! Umdrehen!“
„Guck! Guck! Wir haben heute zwei gute Fänge gemacht. Zwei gute Fänge!“, erwiderte dieselbe Stimme.
„Ja, haben wir Grum. Haben wir!“
Das Wesen sprach anscheinend mit sich selber. Gabor zweifelte an dessen Intelligenz.
„Herr?“
„Es … Es spricht mit uns?“
„Ja, tut es.“, antwortete Gabor.
„Was will es? Will es?“
„Euch retten.“
„Retten? Retten wovor?“
„Vor dem Oger hinter euch.“
„Oger? Welcher Oger?“, fragte das Etwas und drehte sich tatsächlich um. Gabor konnte sein Glück kaum fassen, doch rannte sofort los.
„Neeeeeein!“, kreischte es hinter ihm.
Gabor war entkommen. Glaubte er zumindest, denn als er schwer schnaufend den Tunnel erreicht hatte, von dem er glaubte, dass er nach draussen führt, hörte er hinter sich Schreie. Das Wesen hatte anscheinend Verstärkung geholt. Und zwar schnelle Verstärkung, denn er sah bereits den Schein von Fackeln in einem der Gänge. Gabor spurtete los.

Gabor rannte um sein Leben. Hinter ihm kreischte und schrie die Meute. Er schlitterte um eine Ecke und knallte beinahe gegen eine Wand, weil der Boden wie mit Öl übergossen war. Er stützte sich an der Steinwand ab und holte tief Luft. Dann spurtete er weiter. Er musste die Oberfläche erreichen. Er musste die Anderen warnen. Er musste …

Endlich sah er Licht am Ende des Tunnels und machte erleichtert einen Schritt nach draussen. Zu spät realisierte er, dass es am Ende des Tunnels sofort senkrecht nach unten ging, denn er hatte bereits den Boden unter den Füssen verloren und stürzte in die Tiefe …