Nehrim:Geschichte eines Gefangenen

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Geschichte eines Gefangenen

Ich weiß nicht, warum ich dies hier überhaupt noch aufschreibe. Warum ich überhaupt noch lebe. Vielleicht schreibe ich dies hier, um die Dinge, die ich erlebt habe, für die Nachwelt zu bewahren. Vielleicht auch, weil ich es unerträglich finde, dass niemand von all dem erfahren wird, was mir passiert ist.
Doch hört zuerst meine Geschichte.
Es ist nun zwei Wochen her, da war die Welt für mich noch in Ordnung. Ich hatte eine Familie, eine wunderbare Ehefrau und drei Kinder. Zwei Jungen, ein Mädchen. Doch sie wurden mir alle genommen. Mein ganzes Leben wurde mir genommen.
Alles fing des Nachts vor den besagten zwei Wochen in unserem kleinen Dorf Ledur an, da hörte ich lautes Geheul. Ein Geheul, das einem das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Ich hörte einen Schrei. Den einer Frau. Durch das Fenster in meinem Zimmer konnte ich draußen helle Lichter erkennen. Es brannte in unserem Dorf! Meine Frau schlief noch seelenruhig. Ich weckte sie nicht. Ohne mich umzuziehen, ging ich in meinem Nachtgewand die Treppe hinunter. Die Schreie der Menschen wurden lauter und das Geheul, wie von Wölfen auch. Ich öffnete die Eingangstür unseres Hauses. Vor mir erblickte ich die Jagd des Teufels.
Es verfolgt mich noch heute in meinen Träumen, jede Nacht aufs Neue. Eine junge Frau lief schreiend an mir vorbei. Ihre Kleider hingen zerfetzt an ihrem Körper hinab. Sie war blutüberströmt. Ihr linker Arm war nur noch als blutiger Stumpf zu erkennen. Eine furchteinflößende Bestie lief ihr gebeugt hinterher. Der Teufel selbst. Eine Wolfsartige Kreatur des Bösen, die auf zwei Beinen lief. Als es an mir vorbei hechtete, blickte es mich mit ihren todversprechenden Augen an. Die Frau rannte um die Ecke eines Hauses. Die Kreatur setzte ihr mit einem großen Sprung nach. Ein spitzer Schrei. Spritzen von Blut. Reißen von Fleisch. Ein lautes Heulen. All diese Geräusche vernahm ich. Das konnte nicht wahr sein. Ich musste träumen. Und doch sagte mir etwas, dass dies real war. Wie angewurzelt blieb ich stehen, ohne mich regen zu können. Überall im Dorf liefen die Menschen schreiend durcheinander. Einige versuchten in den Wald zu flüchten, doch die Kreaturen setzten ihnen bereits hinterher. Das Dorf brannte lichterloh.
Ich stand so einige Minuten und blickte auf all die Schrecken, da wurde es mir mit einem Schlag bewusst: Meine Familie war in Gefahr! Ich hörte laute Schreie aus dem Haus. Ich rannte so schnell ich konnte hinein, die Treppe hoch. Etwas packte mich von hinten. Ich konnte mich nicht rühren. Eine Kreatur bugsierte mich langsam zur Tür unseres Schlafgemachs. Meine Familie saß zusammengedrängt auf dem großen Bett. Meine Frau blickte mich mit verstörtem Blick an. Sie sagte kein Wort. Meine Tochter weinte still vor sich hin. Ich wollte ihnen etwas zurufen, da drückte die Kreatur mir den Mund zu. Ich wehrte mich heftig. Ihre Kallen durchstießen meine Wange. Ich fühlte keinen Schmerz. Bloß die panische Angst um meine Familie. Plötzlich lösten sich zwei dieser Kreaturen aus dem Schatten. Ich konnte nichts tun. Ich weinte vor Verzweiflung. Ich konnte ihnen nicht helfen und musste mit ansehen, wie sie vor meinen Augen langsam in Stücke gerissen wurden. Wie die Zähne dieser Bestien sich in ihr Fleisch gruben. Am Ende blieb von ihnen nicht mehr übrig als eine blutige Masse. Mir wurde schwarz vor Augen. Endlich würden sie mich von dem Wahnsinn erlösen, würden mich töten…
Irgendwann erwachte ich wieder. Und zwar in der Hölle, wie es mir schien. Alles schmerzte mir. Ich wollte aufstehen, meine Augen öffnen, doch ich war zu schwach. Etwas trat mich heftig in die Schulter. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich blickte hinauf in das schockierte Gesicht einer Wache. Er setze mich auf und rief die anderen Wachen herbei. Sie verlangten von mir, dass ich ihnen erklären solle was geschehen sei. Ich schwieg und blickte auf meine Hände. Sie waren blutüberströmt. Ich vermied es, mich um zudrehen. Ich wusste wer hinter mir auf dem Bett lag. Zur Unkenntlichkeit entstellt… und tot.
Ich wurde einem Richter vorgeführt. Mir wurde der Mord an allen 46 Bewohnern meines Dorfes vorgeworfen. Ich schwieg. Und nun sitze ich hier, schreibe dies auf. Ich kann von Glück sagen, dass ich dies aufschreiben kann. Es war schon schwer genug, Papier und Tinte aufzutreiben. Zum Glück hatte die Köchin, die uns täglich unsere kläglichen Portionen brachte, sich meiner erbarmt und mir die Sachen besorgt. Vielleicht schaffe ich es noch, dieses Schriftstück an einen Gelehrten oder besser sogar Abenteurer weiterzugeben, der sich der Sache annimmt. Oder zumindest recherchiert, um in Erfahrung zu bringen, was tatsächlich passiert war. Was dies für Wesen waren. Und der dann überall die Wahrheit über dieses Geschehnis verkündet. Doch bis dies geschieht, wird es für mich zu spät sein. So sitze ich hier und werde niemals wissen, was in dieser Nacht tatsächlich geschehen ist und vermodere in diesem Kerker. Einen Lichtblick in all dem Schmerz habe ich jedoch noch.
Morgen soll ich enthauptet werden.


Anmerkung des Autors:
Lieber Leser,
Zu allererst möchte ich Ihnen für den Kauf dieses Buches danken. Dieses Buch ist die gedruckte Version einer handgeschriebenen Geschichte, die ich von einem Gefangenen durch die Zelle gereicht bekommen habe, als ich einen Freund besuchen wollte. Dieser musste einige Tage im Kerker verbringen, weil es zwischen ihm und ein paar anderen Betrunkenen zu einer Rauferei gekommen war, was ich hier aber nicht weiter berschreiben will.
Der Gefangene bat mich, der Sache nachzugehen. Natürlich stimmte ich zu und tat dies auch einige Tage später. Ich befragte den Richter der ihn verurteilt hatte. Dieser gab mir zur Antwort, dass festgestellt wurde, dass es dieser Mann war, der die Menschen in seinem Dorf umgebracht hatte und nicht irgendwelche Kreaturen. Er behauptete, dass diese nur in seiner Phantasie existieren würden. Da ich ihm nicht recht glauben wollte, sandte ich drei Söldner los, die sich in dem zerstörten Dorf umsehen sollten. Ich ging nicht selbst. Nicht weil ich Angst hatte, sondern weil meine Arbeit es nicht zuließ, auf lange Reisen zu gehen. Die Söldner kamen jedoch nie zurück und wurden auch nie wieder gesehen. Deshalb gebe ich all jenen, die nach dem Lesen dieses Buch selbst der Sache nachgehen wollen, einen gut gemeinten Ratschlag. Ihr solltet es bleiben lasen, wenn euch euer Leben lieb ist.

Mögliche Überlebende, die die Geschichte des Mannes bestätigen oder dieser widersprechen können, bitte ich darum, mich bei meiner Hütte beim Totenpass aufzusuchen.

M.R. - Martin Rabe