Nehrim:Gier und Ehre

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Gier und Ehre

Zu einer Zeit, in der die Menschen ohne Angst vor Krieg und Tod lebten, da gab es einen Sohn, dessen Vater ein Schmied war. Dieser Vater verabscheute seinen Sohn und wann immer es ihm möglich war, da blamierte er ihn vor Fremden, Gästen und sogar seiner eigenen Familie. So erzählte der Vater jedem, der es hören wollte, dass sein Sohn ohne Ehre sei, ganz anders als der Vater, also er, wie er jedesmal beteuerte. Er beschrieb sich immer als ehrenhaften Mann und wie um seine Prahlerei zu untermalen, erzählte er von all seinen in Wahrheit nie getätigten Geschäften, in denen er großzügig und gutmütig erschien. Wer immer diesen Erzählungen Glauben schenkte, erhielt schnell den Eindruck, dass der Schmied seine Waffen und Rüstungen fast verschenkte. Nur nebenbei, in Wahrheit vertrieb er Ausrüstung von miserabler Qualität zu horrenden Preisen. Doch sein Geschäft lief trotz der hohen Preise gut, denn er war der einzige Schmied in der Umgebung. Diese Tatsache beruhte wahrlich nicht darauf, dass es einen Mangel an Schmiedegesellen gab, nein, eher an der Angst vieler angehender Schmiede, dass er sie des Nachts ermeucheln und anschließend ihr Haus entzünden könnte, um es wie einen Unfall aussehen zu lassen. Und den Gerüchten nach hatte er diese Methode auch schon einige Male angewandt, um sich lästiger Konkurrenz zu entledigen. Der Schmied galt als gierig, jähzornig und brutal. All den jungen Recken, die sich nun fragen, wo denn die Gerechtigkeit bleibt, kann ich nur eins antworten: Den Grafen interessierte es herzlich wenig, waren er und der Schmied doch schon fast Seelenverwandte, wenn man ihre Charakterzüge verglich.
Doch wieder zurück zu den Erzählungen des Vaters.
Dieser berichtete eines Tages voller Stolz, dass ein armer Mann, nur in Lumpen gekleidet, sein Geschäft betrat und ihm erzählte, dass er in den Krieg ziehen wolle, um das Land gegen barbarische Horden zu verteidigen. Völlig von der „Selbstlosigkeit“ des Mannes beeindruckt, machte der Schmied sich sofort ans Werk und gab dem mutigen Recken, schwitzend aber zufrieden, ein Schwert und eine Rüstung. Diese sollen eines Fürsten würdig gewesen sein. Und er verlangte nicht einmal eine Gegenleistung, sondern schenkte sie ihm.
Eigentlich sollten wir uns, nun, wo wir seine Geschichte vernommen haben, ein Beispiel an ihm nehmen und seinen Taten nacheifern. Wie gesagt, eigentlich.
Leider vergaß der Schmied bei seiner hübschen Geschichte nämlich die Tatsache, dass in den letzten beiden Jahrhunderten kein einziger Krieg ausgerufen worden war.
So zogen die Jahre ins Land, des Schmiedes Sohn wurde ein stattlicher Mann, der alte Graf starb, dessen Sohn trat an seine Stelle und unser Schmied wurde immer skrupelloser. Da war es nicht verwunderlich, dass der neue Graf, der als tüchtiger, gutmütiger Mann galt, nur allzu bald von den Gerüchten um den Schmied erfuhr. So schrieb er, oder besser gesagt, der Schreiberling des Grafen schrieb (man möge auf die große Anzahl der Adligen hinweisen, die sich stolz Analphabet nennen dürfen), dass der Schmied dem Grafen ein fürstliches Schwert schmieden solle und der Graf dafür im Gegenzug keine weiteren Nachforschungen wegen der Gerüchte anstellen würde. Weitere Gegenleistungen in Form von runden, goldenen Plättchen, auf denen irgendwelche hässlichen Fratzen zu sehen waren, sollte es nicht geben. Als der Schmied die Nachricht erhielt, schnaubte er bloß verächtlich und sandte dem Grafen die Nachricht, dass er ablehne. Wer war er, dass er Waffen verschenken würde? Da sich wohl jeder selbst vorstellen kann, wie der Graf reagiert haben dürfte, ersparen wir uns die Einzelheiten. Was, ihr wollt wissen, wie er reagierte? Nun, seine zweite Nachricht an den Schmied dürfte euch die Gedanken des Grafen näher bringen. In dieser wies er den Schmied höflich darauf hin, dass dieser, sollte er die Waffe nicht binnen eines Monats dem Grafen überreicht haben, mit einer hübschen Schlaufe um den Hals am nächsten Baume hängen dürfte. Nach dieser mehr oder weniger gut gemeinten Warnung fing der Schmied unverzüglich an zu arbeiten und in seiner Angst vor dem Tod schuf er ein wahrlich königliches Schwert, für das sein knapp bemessenes Talent normalerweise nie ausgereicht hätte. So kam der Tag, an dem der Schmied seine Arbeit beendet hatte. Sofort rief er nach seinem Sohn, doch konnte er diesen nirgends finden. Auch die Suche seines Weibs, dem er befohlen hatte, nach ihm zu suchen, blieb erfolglos. Also machte sich der Schmied verärgert selbst auf den Weg, denn bis zum Ende der Frist waren es nur noch zwei Tage.
Festen Schritts machte er sich auf den Weg und er landete nur zweimal der Länge nach im Dreck, weil seine Füße im Moder versanken. Es hatte am Tag zuvor geregnet.
So wanderte er, vielleicht nicht mehr ganz so festen Schritts, den Weg entlang und verließ endlich das Dorf in Richtung Osten, wo sich der Sitz des Grafen befand. Doch kaum hatte er das Dorf verlassen, da kam ihm auch schon eine zwielichtige Gestalt entgegen. Dessen Anblick machte dem Schmied Angst, denn die Gestalt war ganz in Schwarz gekleidet und versteckte ihr Gesicht unter einer tief hängenden Kapuze. Da der Schmied sich nicht gerade zu den mutigsten Männern zählen durfte, fing er bereits an zu überlegen, ob er zurück ins Dorf flüchten sollte. Doch als hätte die Gestalt seine Gedanken lesen können, hob sie ihre Hand und rief nach dem Schmied. Selbst als der Unbekannte direkt vor dem Schmied stand, gab sie sich nicht zu erkennen. Da verlangte der Schmied, dass der Fremde sein Gesicht zeigen und sich vorstellen solle. Doch der Fremde erzählte ihm als Antwort von seinem Makel, dass der Teufel persönlich ihn gezeugt haben soll und dass jeder, der sein Antlitz erblicken musste, in der nächsten Nacht unter großen Qualen verstarb. Fortan vermied es der Schmied möglichst, auch nur in Gefahr zu geraten, in das Gesicht des Fremden zu blicken. Nun verlangte der Schmied von dem Fremden, dass er erklären solle, was er von einem unschuldigen und gesetzestreuen Bürger wie ihm wollte. Daraufhin soll der Fremde geantwortet haben: „Habt keine Angst vor mir, mein Freund. Ich will Euch nichts Böses. Ich bin bloß den Gerüchten gefolgt, dass Ihr mit Eurem meisterlichen Talent ein Schwert geschmiedet haben sollt, welches von den Göttern selbst gesegnet sein soll. Und wie ich erkennen kann, übertreiben diese Gerüchte nicht. Also möchte ich Euch ein Angebot machen. Im Gegenzug für dieses Schwert würde ich Euch hundert Goldmünzen überlassen.“
Hundert Goldmünzen, eine wahrhaft große Summe! Und so fing auch die Gier im Schmied an, sich zu regen. Er überlegte kurz, lehnte dann jedoch mit der Begründung ab, dass das Schwert für den Grafen selbst bestimmt sei und dass ein ehrenvoller Mann wie er sein Wort nicht brechen würde. Der Fremde antwortete daraufhin: „ Wenn hundert Goldmünzen Eure Meinung nicht zu ändern vermögen, so werden es vielleicht fünfhundert tun.“ Der Schmied hatte das Gefüh,l fast in Ohnmacht fallen zu müssen. Die Gier in ihm fing bereits an zu sabbern und er war kurz davor, dem Handel zuzustimmen, da erinnerte er sich wieder an des Grafen zweiten Brief und lehnte wehmütig ab. Und wiederum antwortete der Fremde: „ So, Herr Schmied, ich sehe wohl, Ihr seid ein gescheiter Mann, doch will ich diese Klinge unbedingt mein Eigen nennen dürfen. Als Gegenleistung für dieses Meisterwerk würde ich Euch meines Vaters Haus, sein Weib und all sein Vermögen überlassen.“ Nun fiel der Schmied tatsächlich in Ohnmacht.
Als er wieder erwachte, fand er sich in einem warmen Zimmer im Gasthof seines Dorfes liegen. Er kannte dieses Zimmer, denn hier vergnügte er sich immer mit den Huren. Er blickte sich um und sah auf einem Stuhl einen Fremden sitzen, dessen Gesicht er nicht sehen konnte. Plötzlich erinnerte er sich wieder an das Angebot. Sofort sprang er aus dem Bett, riss des Grafen Schwert an sich und stürmte wie ein Irrer auf den Fremden zu, rüttelte ihn wach und drückte ihm das Schwert in die Hand. Sofort verlangte er, dass der Fremde ihn zu seinem neuen Besitz führen solle.
Dieser stand auf, bedachte die Weisheit des Schmieds mit einigen wohl bedachten Worten und führte ihn hinaus aus dem Gasthof. Auf die Frage des Schmiedes, wo sein neuer Besitz denn zu finden sei, antwortete der Fremde bloß, dass es im gleichen Dorf läge, in dem auch der Schmied wohne. Als sie den Dorfplatz durchquerten, auf dem sich damals viele Bewohner des Dorfes tummelten, blieb der Fremde abrupt stehen und rief laut: „Bewohner des Dorfes, egal ob Mann, ob Weib oder Greis, folgt mir und dem Schmied, um mit eigenen Augen mitanzusehen, welch großes, weises und ehrenvolles Geschäft der Schmied abgeschlossen hat. Folgt uns und seht selbst, auf dass ihr nie wieder des Schmiedes Weisheit anzuzweifeln wagt.“ Der Schmied hörte dem Fremden gar nicht mehr zu, sondern war in eine Art Ekstase des Glückes gefallen.
Neugierig geworden, folgte ihnen eine große Gruppe von Menschen. Sie gingen nicht lange durch das Dorf, da verlangsamte der Fremde seine Schritte, deutete auf ein Haus und sagte zu dem Schmied, dass dies das Haus sei. Der Schmied erschrak zuerst, musste dann jedoch anfangen zu lachen. War der Fremde etwa blind? Dies war sein Haus! Er musste wohl zum falschen Haus gegangen sein oder das Nachbarshaus meinen.
Langsam griff der Fremde an seine Kapuze. Zentimeter für Zentimeter zog er sie zurück. Er zeigte sich. Die Leute tuschelten aufgeregt. Der Schmied glaubte seinen Augen nicht. Der Fremde war sein nichtsnutziger Sohn!
Der Schmied fing an zu toben und ging auf seinen Sohn zu. Alles in ihm schrie, wollte diesem kleinen Wicht eine Lektion erteilen. Er hatte ihn an der Nase herumgeführt, sogar seine Stimme verstellt. Und doch war die Stimme ihm die ganze Zeit vertraut vorgekommen, gestand er sich selbst. Der Sohn hob seine Hand und rief: „Weiche zurück du Teufel, oder willst du mich vor versammelter Dorfgemeinschaft verprügeln wie einen Hund? Und vergiss nicht, dass ich ein Schwert in den Händen halte.“ Nun wandte er sich an die versammelte Menge: „ So sehet her ihr Leute, welch großes Geschäft mein Vater in seiner Weisheit getätigt hat. Er gab mir dieses Schwert, das wahrhaft eines Königs würdig ist, und erhielt im Gegenzug sein eigenes Haus, sein eigenes Weib und sein eigenes Vermögen. Staunt über seine Weisheit!“ Alle lachten. Einige wälzten sich sogar auf dem Boden herum. Der Sohn musste anfangen zu grinsen. Sein Plan war geglückt. Als sich alle beruhigt hatte, was ziemlich lange dauerte, wandte er sich wieder an seinen Vater, der wie versteinert da stand und sich wohl wünschte, dass all dies nur ein Traum sei. Ein Albtraum. „ So siehe Vater. Der Verlust dieses Schwertes wird dir nach einiger Zeit vielleicht nicht mehr so groß vorkommen mögen, doch vergiss nicht, dass du heute mehr verschenkt hast, als nur ein Schwert. Heute hast du dein Gesicht in der Öffentlichkeit verloren und vor allem dein letztes bisschen Ehre mit diesem Schwert verkauft. Doch verurteile nicht mich, Vater, nein, verurteile deine Gier, denn sie ist es, die dich mit der Zeit soweit gebracht hat, deine Ehre zu verkaufen. Sie hat deinen Verstand beherrscht und dich alle Vorsicht vergessen lassen. Lass dir das eine Lehre sein.“
Hier war er fertig. Er wollte sich umdrehen, als ihm noch etwas Wichtiges einfiel, etwas, das er schon seit vielen Jahren hatte sagen wollen. Noch einmal sprach er zu seinem Vater, doch nur so, dass er es hören konnte: „ Eins noch, Vater. Heute ist ein besonderer Tag für mich. Denn heute ist der Tag gekommen, an dem ich sagen kann, dass du es bist, der ohne Ehre ist.“

Mit diesen Worten verließ der Sohn das Dorf und ward dort seither nie wieder gesehen. Allein die Gerüchte über seine ehrenvollen Taten drangen bis ins Dorf zurück und man hörte oft die Geschichte des jungen, mutigen Recken mit dem mächtigen Schwert, das wahrhaft eines Königs würdig war.

M.R.