Enderal:Erzählungen des Wanderers: Der Fechtmeister

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Erzählungen des Wanderers: Der Fechtmeister

Bücher Erzählungen des Wanderers: Der Fechtmeister
Daten
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1
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25
Autor
Der Wanderer
Bemerkungen
-

Erzählungen des Wanderers: Der Fechtmeister ist ein Buch in Enderal – Die Trümmer der Ordnung.


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Personen

Eine Auflistung der im Buch vorkommenden Charaktere:

Inhalt

Erzählungen des Wanderers: Der Fechtmeister

"Fechtmeister" nennen sich viele, obwohl sie gerade einmal wissen, wie man ein Schwert richtig herum hält. Das Amüsanteste daran ist, dass sie meist nicht mehr so frech und großmaulend sind, wenn man kurz davor ist, ihnen den Garaus zu machen. Dann betteln und flehen sie. Um ihr Leben. Um Gnade. Schwören auf Malphas und die Welt. Ein wahrer Fechtmeister bettelt nicht. Wenn er auf die Knie geht, dann nur, um den letzten, todbringenden Streich zu empfangen. Von jenen eisernen Kriegern gibt es nur sehr wenige. Diese Geschichte spinnt sich um das Schicksal eines solchen Mannes, den ich auf meinen Wanderungen traf. Einen Mann, für den nichts süßer war als der Tod.

"Das ist nicht euer Ernst, oder?" Ich schnaubte verdrossen. "So viel? Für einen Leib? Wo sind wir hier? In einem qyranischen Edelfreudenhaus?"

"Das ist der Preis für Fremde, nicht mehr und nicht weniger", beharrte der Händler. "Euch bereitet es Freude, die Menschen bis auf die letzte Münze auszuquetschen, was? Lasst euch gesagt sein: Meist kommt das auf einen selbst zurück." Ich drückte dem Mann die geforderte Summe in die Hand und nahm mir mein Brot. "Schönen Tag noch, Meyser", sagte er boshaft lächelnd. "Brenn' im Sonnenfeuer", knurrte ich. Die Straßen der Stadt waren belebt. Zum Mittag hin war dies meist der Fall, dann hatte die Stunde der großen Geschäfte für die Händler geschlagen und es wurde mächtig um die Wette gefeilscht. Ich war nur auf der Durchreise, musste allerdings dringend meine Vorräte aufstocken. - Ein langer Wochenmarsch bis in das Nordwindgebirge lag vor mir. Ob ihr es glaubt oder nicht, dieser Händler hatte mir noch das beste Angebot von allen unterbreitet. Die Preise waren derzeit horrend hoch, vor allem für Reisende. Ja, Reisende waren das bevorzugte Ziel, wenn es darum ging, jemandem tüchtig die Taschen zu leeren. Ich seufzte und warf einen vorsichtigen Blick in meinen Beutel. Viel war nicht mehr darin.

Ich würde mir bald kreative Lösungen ausdenken müssen, wenn das Glück es weiterhin derart schlecht mit mir meinte. Damals war ich noch nicht so erfahren, es war eine meine ersten großen Wanderungen quer durch Enderal. Es gab Einiges, was ich auf der harten und rauen Straße erst lernen musste und worauf mich auch die ausgiebige Ausbildung der Meister nicht vorbereiten konnte. Es ist wie bei einem Kind: Man kann ihm unter die Arme greifen, aber letztendlich muss es von ganz alleine lernen zu laufen. Irgendwie waren die Leute heute unruhig, das war mir aufgefallen, auch ohne den Einsatz meines besonderen Auges und meiner erweiterten Sinne. Es lag in der Luft. Hätte ich mich genauer umgehört, hätte ich früher gewusst, was im Gange war. So erfuhr ich es erst, als ein lautes Geschrei erklang. Ich reckte den Kopf über die Menschenmengen. Ein junger Bursche eilte die Straße hinauf.

"Heute ist es soweit! Es ist soweit! Der Halunke wird zum Schafott geführt! Kommt alle, gleich ist es soweit, sie knöpfen ihn auf! Unten auf dem Marktplatz!" Gleichzeitig hallte lautes Glockenläuten über die Dächer der Stadt hinweg. Die Leute warfen ihre Köpfe herum. Fenster und Türen wurden aufgeschlagen. Nach und nach strömten beinahe die gesamten Bewohner in Richtung des Marktplatzes. Aufgeregtes Getuschel war allerorts zu vernehmen.

Als der Schreihals an mir vorbeikam, streckte ich den Arm aus und packte ihn mir. Seine Beine schlenkerten nach vorn, ich bewahrte ihn vor dem Sturz. "Was ist hier los?", fragte ich düster. Er sah mich verschreckt an. Meine Kapuze musste gehörig angsteinflößend wirken. "Äh, äh, d-der Halunke, er wird gehängt, werter Meyser", stammelte der lange Bursche. "Wer soll dieser "Halunke" sein?"

"Die blutige Klinge, der Mordbube, der vor drei Monden ein dutzend Ordensleute auf der Straße nach Ark abgeschlachtet hat." Ich ließ von dem Jungen ab. Er warf mir argwöhnische Blicke zu, während er langsam weiterging. Von einem zwölffachen Mörder in der Gegend hatte ich nichts gehört. Und ich hatte einen guten Überblick über alle Männer, die zu so einer Tat fähig waren. An dieser Sache war zweifelsohne etwas faul. Ich machte mich meinerseits zum Marktplatz auf, um mir die Sache genauer anzusehen. Eine Unmenge an Menschen füllte den Platz. Die gesamte Stadt war auf den Beinen. Im Zentrum lag das erhöhte Podest mit den drei Galgen, an denen bereits frisch gebundene Stricke hingen, wie ein unheilverkündendes Omen. Ich schob mich durch die Masse weiter vor. Es dauerte nicht lang und am östlichen Rand des Platzes brach Geraune los. Die Lärmquelle verlagerte sich immer näher zum Podest hin. Dann sah auch ich den Trupp. Fünf bis an die Zähne bewaffnete Ordenshüter führten einen Mann mit sich. Er hatte lange, strähnige Haare, die ihm ins Gesicht fielen. Sein Körper wirkte geschunden. Sie hatten ihn vermutlich im "Loch" gehalten, der unmenschlichsten Zelle des Verlieses - nicht einmal breit genug, um sich im Liegen drehen zu können. Damit dürften auch seine letzten Kraftreserven gänzlich versiegt sein. An der Spitze des Trupps ging der Scharfrichter, mit seiner schwarz-roten Henkerskappe.

Oben auf dem Podest, auf das der Gefangene geführt wurde, hatte ein in edle Gewänder gekleideter Sprecher, mit einer Ordensbrosche auf der geschwollenen Brust, Stellung bezogen. Der Gefangene wurde grob gestoßen und fiel auf die Knie. Er sah immerzu auf den Boden, regte sich nicht. Dieser Mann war gebrochen, hatte sein Schicksal akzeptiert. Ein Stein flog aus der Menge und traf ihn am Kopf. Er knurrte, bleckte kurz und ohne hochzuschauen die Zähne und schüttelte den Wurf ab, als wäre es nichts gewesen. Blut rann unter seinen Haaren hervor. Es tropfte auf das Podest.

"Dieser Mann!" Der Sprecher deutete mit ausgestrecktem Finger auf den Gefangenen und spuckte dabei aus. "Dieser Mann, dessen Name es nicht wert ist, genannt zu werden, hat zwölf - ich wiederhole - zwölf unserer besten Krieger, ehrenvolle und tapfere Männer, kaltblütig ermordet." Die Menge brodelte. Schmährufe schallten über den Platz. "In der Nacht des siebenundzwanzigsten Fundaments überfiel er sie arglos im Schlaf. Die Hälfte von ihnen war tot, bevor sie überhaupt erwacht war." Eine dramatische Pause des Sprechers folgte. "Die einzig akzeptable Strafe hierfür ist der Tod." Die Menge stimmte brüllend zu. "Doch liebe Leute. Es wäre vermessen, wenn das schon alles wäre. Bevor er stirbt, muss er dieselben Qualen durchleiden wie jene, die er mit durchgeschnittener Kehle am Wegesrand liegen ließ, dieser räudige Bastardsohn einer Fischerhure!", schrie der Sprecher. "Bringt die Streckbank!" Zwei kräftige Ordenshüter rollten das Folterinstrument über die Rampe auf das Podest. Der Gefangene zeigte keine Reaktion ob dem, was ihm bevorstand.

"Er hat seine blutrünstige Tat immer noch nicht im Angesicht von Malphas gestanden. Bis das nicht geschehen ist, wird diesem Wegelosen auch keine Gnade zuteil werden!"

Frenetische Jubelstürme begleiteten die Worte des Sprechers. Der Gefangene wurde gepackt und auf die Streckbank geschnallt. Die Riemen wurden festgezurrt. Der Sprecher wies den Scharfrichter mit einem Nicken an zu beginnen. Arme und Beine des Gefangenen spannten sich, während der Henker die Kurbel drehte. Kin Ton entlockte sich seiner Kehle. Er blieb vollkommen ruhig. Der Sprecher gab ein erneutes Zeichen und der Scharfrichter drehte weiter. Dieselbe Prozedur folgte ein paar weitere Male, doch der Gefangene blieb stumm wie ein Stein. Unruhiges Gemurmel legte sich über die Schaulustigen. Der Sprecher wurde nervös und flüsterte dem Scharfrichter rasch etwas zu. Ich ahnte, dass hier etwas nicht stimmte. Kein normaler Mann konnte diese schmerzhafte, grauenvolle Folter ertragen, ohne sich das Geringste anmerken zu lassen. Neben starken Drogae oder anderen Mitteln gab es nur eine Technik, mit der man einen derartigen Schmerz völlig ausblenden konnte. Der Eiserne Mantel, nur genutzt von der höchsten Meisterstufe der Fechtkämpfer dem Tyrangalar, einem sehr bekannten altertümlichen Zusammenschluss, um den sich zahlreiche Legenden rankten.

"Macht ihn los", knurrte der Sprecher säuerlich. "Wir hacken ihm nacheinander die Finger ab." Der gefangene Fechtmeister wurde zum Enthauptungsblock geschleift. Er wehrte sich nicht, seine Glieder waren schlaff. Sein Geist befand sich in einem anderen Sinneszustand. Ein Hüter spannte den Arm des Gefangenen ein. Der Scharfrichter wetzte sein Verstümmelungsmesser, das so lang war wie ein Unterarm. Er legte den Stein beiseite, platzierte sich über dem Gefangenen und holte aus. Doch das Messer erreichte nie sein Ziel. Ich spürte die magische, energetische Druckwelle, die über den Platz fuhr, nicht wahrzunehmen für einen gewöhnlichen Menschen. Der Eiserne Mantel war gelöst worden. Im nächsten Moment fuhr der Gefangene nach oben. Die Eisenfessel brach, als hätte sie aus marodem Holz bestanden. Er packte das Handgelenk des verdutzten Scharfrichters, brach es ihm mit einem geschickten Griff. Dann nahm er das Messer und wuchtete es dem Henker seitlich in die Kehle. Er war sofort tot.

Der Marktplatz geriet in hellen Aufruhr. Die Menschen drängten von dem Podest weg, in lodernder Angst. Ich hingegen drängte zum Podest hin. Die fünf Ordenshüter zückten ihre Waffen. Der Sprecher nahm Reißaus, kam jedoch nicht weit. Der Fechtmeister zog das Messer aus der Kehle des Henkers und schleuderte es los. Es schlug genau im Hinterkopf des Fliehenden ein, der leblos zu Boden sackte und noch eine Weile lang zuckte. Zwei Tote innerhalb zweier Wimpernschläge. Dieser Mann war eine Tötungsmaschine. Was er mit den Hütern anstellte, könnt ihr euch nun wahrscheinlich ausmalen. Ich will es euch dennoch nicht vorenthalten. Der Erste, der sich ihm näherte: eine rasante Finte nach oben, ein Tritt in die Weichteile, ein Kniehaken von unten gegen das Kinn, gleichzeitig das Messer von oben in den ungeschützten Nacken. Tot. Nun war der Fechtmeister im Besitz seiner Paradewaffe.

Der zweite Ordenskrieger: ein abgetrennter Arm, dann ein Stich durchs Herz. Tot. Vorangegangen waren mehrere unnachahmliche Täuschungsmanöver. Der Fechtmeister rollte unter einem Hieb durch, schnitt in der Rolle die Kniekehle des Dritten, nagelte dessen Fuß mit dem Schwert in das Podest. Dem Vierten versetzte er gleichzeitig einen betäubenden Schlag auf beide Ohren, entwendete ihm die Waffe, tötete damit den Dritten, zog die Klinge aus dessen Fuß und rammte sie dem Vierten durch die Kehle. Tot im Doppelpack. Der Fünfte hatte längst die Beine in die Hand genommen, wie jeder, der halbwegs bei Verstand war. Die Folter und die Zeit in der Zelle hatten dem Fechtmeister nichts anhaben können. Das verwunderte mich nicht. Diese Kämpfer versetzten sich tagelang in einen künstlichen Schlaf und vergruben sich in Kammern tief unter der Erde. Der Fechtmeister sprang von dem Podest. Ich war der Einzige, der dort noch stand. Uns trennten nur wenige Schritte. Er stürmte auf mich zu. Meine Muskeln spannten sich, doch ich war zu langsam. Es war mir unmöglich jetzt noch auszuweichen. Er war schnell wie ein Blitz. Mir stockte der Atem. Im Bruchteil des Augenblicks kreuzten sich unsere Blicke, während er an mir vorbeischnellte. Ich stand da, wie angewurzelt. An meiner Schulter war das Hemd aufgerissen und offenbarte einen Schnitt, so seicht, dass ich ihn kaum bemerkte. Mein Herz begann wieder zu schlagen.

Ich wandte mich um und sah den Fechtmeister die Straße hinaufrennen, verfolgt von einem Trupp aus Ordenskriegern. Viel zu lange dauerte es, bis ich mich wieder rührte und hinter ihnen her rannte. Sein Kampfstil war so außergewöhnlich wie kein zweiter. Ich durfte mir unter keinen Umständen das Ende seiner dramatischen Flucht entgehen lassen. Eine Schneise der Verwüstung zog sich durch die Straßen. Ich erblickte den Händler, der mir eine knappe Stunde zuvor das Brot verkauft hatte. Er lag tot unter den Trümmern seines Standes und hatte wohl in aller Eile versucht, noch seine Habe zu retten. Einige Unschuldige tränkten die Straße mit ihrem Blut, die, die sich nicht früh genug aus dem Staub gemacht hatten. Am Stadttor fingen die Hüter den Fechtmeister schließlich ab. Er sah sich von einer erdrückenden Übermacht umzingelt. Ich kam dort keuchend an und presste mich gegen eine Hauswand. Die Hüter bildeten mit ihren Hellebarden einen Kreis um den Fechtmeister. Aus ihren Reihen trat ein Mann vor, in den Kreis hinein. Meine Augen weiteten sich. Als ich heute Morgen aus meinem harten Bett zwischen Brombeersträuchern und Dorngestrüpp aufgestanden war, hätte ich mir nie erträumen lassen, dass ich in eine atemberaubende Situation wie diese hineingeraten würde. Es trat hervor: Ragis Sternsucher, zur damaligen Zeit der beste Schwertkämpfer des Ordens und einstmaliger Schüler des legendären Loram Wasserklinge. Er hatte langes, schwarz wallendes Haar, war ein absoluter Schönling, doch seine spitzen Wangenknochen und der makellose Teint erweckten nur den Schein einer sanften Seele. Seine Klinge war die tödlichste Waffe Enderals.

Ragis ging entschlossen auf den Fechtmeister zu und blieb in respektvollem Abstand stehen. Stille, wie vor einem Sturm. Kein Lüftchen regte sich. Plötzlich zischte die Klinge aus Ragis Scheide vor. Gleichzeitig riss der Fechtmeister die seine nach oben. Die Schwerter kreuzten sich laut scheppernd in der Mitte und Beide hielten inne. "Name?", fragte Ragis ruhig. "Eremir. Fünfter der Klingenden Schatten", erwiderte der Fechtmeister, und seine Stimme erinnerte mich an ein knorriges, altes Holzbrett, das in einem Fluss dahin trieb. "Ein klingender Schatten ..." Ragis Augenbraue wanderte nach oben. "Das ist interessant. Ich will euch ein faires Angebot unterbreiten: Ergebt euch und ihr bleibt am Leben, Eremir. Ich will euch nicht töten, das wäre eine Verschwendung für die Welt. Wir können das alles in Ruhe bereden, ohne gekreuzte Klingen. Wählt den Weg der Vernunft."

"Lasst das unschuldige Getue. Ihr wusstet, wer ich bin. Und ich sah bereits, was ein 'faires' Angebot im Mund des Ordens bedeutet", fauchte Eremir. "Ihr gabt mir keine Gerechtigkeit. Ich habe diese Männer nicht ermordet. Sie griffen mich an, wahrscheinlich sogar auf euren Befehl hin, Ragis. Ihr seid Abschaum. Ein listiges Schlangenmaul ohne Ehre, das Meinesgleichen ausrotten will. Ihr wollt die Klingenden Schatten und die Tyrangalar loswerden. Ihr seht sie als Bedrohung für euren Ruf, eure Sache an. Das alles habt ihr geschickt gegen mich gedreht. Wenn ihr mich nicht durchlasst, kommt es zum Kampf."

Ragis Mund verwandelte sich von seinem ruhigen Grinsen zu einer geraden, gefühlslosen Falte. "Glaubt mir, dann sterbt auch ihr", sagte Eremir scharf. Ragis trat zurück und warf seinen Umhang ab. "Ihr habt es nicht anders gewollt." Er lockerte die Manschetten und den Kragen seines Wamses. Darüber schimmerte seine gehärtete Lederpanzerung mit goldenen Verzierungen.

Dann streckte er das Schwert von sich. Eremir tat es ihm mit grimmiger Miene gleich. Die beiden Krieger umkreisten sich, belauerten einander wie Raubkatzen, auf das kleinste Zeichen wartend. Ragis schnellte nach vorne, mit der schnellen Eleganz einer angreifenden Viper. Eremir parierte den Vorstoß ohne Mühen. Die Klingen tanzten und entfachten einen silbrig wirbelnden Sturm. Die Konstanz und die Schnelligkeit der Kämpfer suchte ihresgleichen. Der kleinste Fehler würde über den Ausgang dieses Duells entscheiden. Ich verfolgte den Schlagabtausch verzaubert vom Sturm der Schwerter. Nach heftigen, akrobatischen Manövern, war Ragis einen Schritt schneller. Mit einem tückischen Lächeln tauchte er unter der Klinge Eremirs durch und traf ihn an der Bauchdecke. Ein verhältnismäßig dünner Schnitt, mit sehr großen Folgen. Eremir taumelte rückwärts und hielt sich die blutende Wunde. Ragis setzte sofort nach, doch sein Angriff wurde zurückgeschmettert.

"Ihr versteckt euch hinter eurer Rüstung, Feigling", bellte Eremir. Ragis grinste schauerhaft. Er winkte zwei Hüter zu sich, die ihm den Lederpanzer abnahmen. "Nun sind wir beide gleic.", sagte er. Das schwarze Haar klebte ihm auf seiner Stirn. Er wischte sich den Schweiß mit einem feinen Seidentuch ab und nahm wieder eine Kampfhaltung ein. Eremir stand ihm gegenüber, in seine kränklichen Gefangenenlumpen gehüllt.

Der Sturm wurde von neuem entfacht. Das Wirbeln, das Tänzeln, das Suchen nach einer Schwachstelle in der Parade des Gegners. Eremir zog eine Spur aus Blut über die Steine. Je länger der Kampf dauern würde, desto mehr würde ihm diese Wunde zu schaffen machen, und ich bezweifelte, dass er noch genug Kraft hatte, den Eisernen Mantel erneut zu nutzen. In einem plötzlichen Orkan trafen sich beide Klingen. Sie rieben aneinander, schmirgelten sich im Angesicht ihrer Träger auf. Plötzlich packte Ragis mit der freien Hand Eremirs Arm. Der konnte es nicht mehr verhindern. Ein grässliches Schmatzen ertönte. Die Klinge bohrte sich langsam durch seinen Körper, bis sie auf der anderen Seite wieder austrat. Ragis ruckte nach vorn und Eremir spuckte Blut. Das Schwert steckte. Ragis lächelte zufrieden, während das Blut des Feindes sein Wams besudelte.

"Die Klingenden Schatten sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Ihr habt schnell klein beige-"

Er verstummte schlagartig. Seine Augen starrten fassungslos und ungläubig auf Eremirs Schwert nieder, das in seinem Bauch steckte. Der ältere Fechtmeister stieß es mit letzter Kraft ganz hindurch. Er röchelte, und zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen quoll noch mehr Blut hervor. Ragis Gesicht war wie versteinert. Alle Farbe war aus ihm gewichen.

"Ein Kampf ist erst vorbei, wenn ihr euch sicher seid, dass euer Gegner tot ist. Das war ein fataler Fehler. Wasserklinge hat euch gut unterrichtet, das Wichtigste jedoch scheint er ausgelassen zu haben", keuchte Eremir mit einem bittersüßen Lächeln auf den Lippen. "Ich warnte euch, dass ihr sterben würdet."

Sie spuckten beide Blut aus. Die Hüter um sie herum beobachteten das Schauspiel regungslos und schweigend - in Ehrfurcht erstarrt. Ragis verzog das Gesicht, von grenzenlosem Hass erfüllt, doch bevor er etwas erwidern konnte, sackte sein Kopf nach unten. Eremir blickte zum Himmel empor. "Ah." Es klang, als wäre er nun frei, als fiele eine gewaltige Last von ihm ab.

"Tod, du süßer Tod, reiße mir das Herz aus der Brust!", rief er, und der Schrei hallte von den Häusern wieder. "Nun sehe ich dich endlich wieder, meine liebste Iona." Dann verstummte er. Die gesamte Stadt - nein - die gesamte Welt schien in Schweigen verfallen zu sein. Irgendwo, hoch oben in einem Baum, zwitscherte ein Rotkehlchen.