Nehrim:Kampf um Cahbaet

Aus Sureai
Wechseln zu: Navigation, Suche
< Nehrim: Gegenstände: Bücher

„Wenn wir jetzt durch diese Tür gehen ... werden wir dann sterben?“
„Sei kein Dummkopf!“, fuhr Dramir seinen jüngeren Bruder mit dem ihm typischen Ungestüm an. „Niemand wird hier sterben, am allerwenigsten du!“
Gerrit senkte schnell den Kopf. „Wenn du meinst ...“ Mehr brachte seine piepsige Stimme, die er so verabscheute, nicht hervor. „Du wirst es schon wissen, Dramir.“

Dieser schob seinen kleinen Bruder mit einer hastigen Bewegung seines muskulösen Armes schützend hinter sich und legte die kräftigen Finger sachte auf den Türknauf. Ihnen blieb einzig die Hoffnung, dass die Soldaten des Kanzlers sie beim Herauseilen nicht sehen würden, denn einen anderen Weg aus dem Haus gab es nicht.
Langsam öffnete er die Tür einen Spalt breit und spähte hindurch. Die Luft schien rein zu sein – für den Moment jedenfalls.
„Also hör zu ...“, begann er zu sprechen, nachdem er den Spalt wieder geschlossen hatte. Der vor ihm stehende Gerrit war verängstigt.
„Wir werden gleich aus dem Haus heraus und in den nächsten Stadtring rennen“, erklärte Dramir geduldig, aber äußerst angespannt. Sein Bruder nickte vage. „Du kennst den Weg zum Tor doch, nicht wahr? Schau auf jeden Fall immer auf den Weg und bleib dicht hinter mir. Wenn uns die Soldaten einholen ...“
Dramir wurde für einen kurzen Augenblick unruhig, fing sich aber wieder.
„Nun ja, so weit wird es nicht kommen.“
Die Lage machte Gerrit große Angst. Selbst sein Bruder, sein großer und starker Bruder Dramir schien sich zu fürchten vor den Soldaten des Kanzlers, die vor wenigen Minuten erst das Tor zur Nordstadt durchbrochen hatten ...
„Los!“, schallte Dramirs gedämpfter Ruf, mit dem er all seine nervöse und angsterfüllte Anspannung in wilde Entschlossenheit umwandeln zu wollen schien.


Die Straße machte oft eine scharfe Kurve, was es unmöglich machte, nahende Soldaten im Voraus zu erspähen. Gerrit behielt geradezu stoisch den breiten Rücken seines großen Bruders im Auge, nur um einen vertrauten Bezugspunkt im plötzlich hereingebrochenen Chaos zu haben; der laue Wind trug neben stechendem Brandgeruch auch den bedrohlichen Lärm eines Kampfes näher, der wohl in unmittelbarer Nähe ausgefochten wurde.

Dramir lief schnell, und Gerrit hatte große Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Zudem wurden seine kurzen Beine durch die Angst geradezu betäubt – Angst, die bald in Panik umschlagen könnte. Hinter jeder Kurve, aus jeder angrenzenden Gasse konnten die Soldaten des Kanzlers Barateon hervorstürmen und würden dann nicht lange zögern. „Der Kanzler“, hatte Gerrit von seinem großen Bruder erfahren, „kennt kein Erbarmen mit Abtrünnigen und Rebellen“; inwiefern der kleine Gerrit aber ein Rebell sein sollte, hatte er nicht verstanden. Warum die Soldaten ihn töten wollten, erst recht nicht.
„Dort vorne ist das Tor!“, jubelte Dramir im Rennen und vergewisserte sich mit einem Schulterblick, dass Gerrit noch hinter ihm war. Das auf ihn zuschwingende Schwert sah nur sein kleiner Bruder, aber Dramir spürte, wie es seinen Bauch aufritzte. Sie waren von den Soldaten gesehen worden. Dramir sank zu Boden.

Der piepsige Schrei von Gerrit währte nicht lange; denn als zwei herbeigeeilte Wachen der Nordstadt den Soldaten des Kanzlers, der Dramir mit dem Schwert getroffen hatte, niederstreckten, vermochte der kleine Junge bei diesem Anblick von Tod kein Glied mehr zu rühren und versteifte sich mit weit aufgerissenen Augen zu einem Ebenbild starren Entsetzens. Jeglicher Laut blieb ihm in der Kehle stecken und drohte ihn förmlich zu ersticken.

„Verdammt, Gerrit“, keuchte Dramir. „Lauf zum Tor, verdammt, geh durch das Tor!“
Eine der Wachen hob den erstummten Gerrit hoch und eilte mit ihm in Richtung Tor, während sich der andere um Dramir kümmerte und ihn in die Sicherheit des nächsten Stadtringes ziehen wollte. Die Soldaten des Kanzlers ließen ihn aber nicht weit kommen.
Gerrit schaffte es. Plötzlich war er hinter dem Tor, in Sicherheit ... doch sein großer Bruder Dramir fehlte.

Noch immer hatte er Angst, sogar sehr große. Über die Mauern des Stadtringes schallten die Rufe der Soldaten des Kanzlers; „Barateon lässt keine Gnade walten vor den Aufsässigen der Nordstadt!“, schrie eine raue Stimme, die sich anhörte wie die des Henkers auf dem Weg zum Schafott. „Alle Rebellen hier sind des Todes!“

Inmitten der eilig umherlaufenden Wachen stand der kleine Gerrit ängstlich und verloren da. Der Kanzler hatte den ersten Teil der Nordstadt eingenommen; die restlichen waren wohl nur noch eine Frage der Zeit.

„Tod den Rebellen!“, erscholl es abermals. Inwiefern er oder sein Bruder aber mehr gewesen sein sollten als Bürger der Nordstadt, das verstand Gerrit nicht. Tatsächlich wusste er in seiner kindlichen Unschuld noch nicht einmal, was ein Rebell überhaupt war.